Bei Filmfestspielen in Venedig ist Christus eine gefragte Figur

Jesus am Lido

Die Figur Christi auf Zelluloid: auch darum drehen sich Projekte bei den laufenden Filmfestspielen von Venedig. Mittels "Virtual Reality" soll der historische Jesus "auferstehen". Besser gelungen ist aber eine konventionelle Produktion.

Autor/in:
Felicitas Kleiner
(Noch) leerer Kinosaal / © Sebastian Gollnow (dpa)
(Noch) leerer Kinosaal / © Sebastian Gollnow ( dpa )

Als wäre man dabei im Stall in Bethlehem, wo sonst Ochs und Esel liegen: direkt neben Josef, Maria und dem im Stroh liegenden Jesus-Baby. "Virtual Reality" (VR) macht es möglich. Im Rahmen der 73. Internationalen Filmfestspiele in Venedig, die bis kommenden Samstag das Neueste in Sachen Filmkunst der Weltöffentlichkeit vorstellen, wurde stolz etwas präsentiert, was als erster "Virtual Reality-Film" Geschichte machen soll.

"Jesus VR - The Story of Christ" von Regisseur David Hansen verspricht, die Zuschauer mittels VR-Brillen, Kopfhörern und eines Drehstuhls, der einen 360°-Blickradius ermöglicht, sozusagen zum Teil der biblischen Geschichte werden lassen: Die Brille versetzt den Zuschauer ins Zentrum eines virtuellen Raumes, in dem man selbst mittels Kopfbewegungen bzw. Drehstuhl-Drehungen entscheiden kann, welchen Aspekt der sich dort abspielenden Handlung man ansehen möchte.

Eigener Film durch Blickwahl

Theoretisch montiert also jeder Zuschauer durch seine Blickentscheidungen seinen eigenen Film. Rund 40 Minuten des Projekts, das nach Fertigstellung eine Spielfilmlänge von 90 Minuten haben soll, waren bereits am Wochenende in einem 50 Plätze fassenden, dieses Jahr neu eingeführten "VR Theatre" im altehrwürdigen Palazzo del Casino zu sehen. Das Fazit nach vielen Drehstuhl-Runden: Der Umgang mit der neuen Technik, wie ihn der Film der kanadischen Firma Autumn Productions vormacht, ist noch stark verbesserungsfähig.

David Hansens Inszenierung lädt kaum dazu ein, die Chancen der Virtual Reality auszukosten und den Blick schweifen zu lassen: Durch seine Figurenführung gibt Hansen meist einen eindeutigen Fokus vor.

Außerdem hat der Regisseur offensichtlich keine elegante Lösung gefunden, unterschiedliche Handlungsorte fließend miteinander zu verbinden, sodass sich kein Erzählfluss ergeben will. Was das genaue Gegenteil von dem bewirkt, was VR verheißt: Der Zuschauer wird immer wieder aus der Geschichte heraus gerissen.

Freiluft-Laientheater mit klischeehaftem Jesusbild

Dass sich der Regisseur als Stoff für den VR-Versuch ausgerechnet die zweitausend Jahre alte Geschichte vom Leben Jesu vorgenommen hat, hätte eine gute Idee sein können, um ein junges Publikum zu interessieren und ihm eine frische Perspektive auf die Heilsgeschichte anzubieten. Dafür hätte es allerdings einer intensiveren Auseinandersetzung erfordert. Was Hansen, sein religiöser Berater Pater William Fulco - der schon Mel Gibson bei "Die Passion Christi" unterstützte -, und seine Darsteller auf die virtuelle Bühne bringen, sieht nach Freiluft-Laientheater und einem klischeehaften Jesusbild aus, das irgendwo im 19. Jahrhundert stecken geblieben ist. Ohne ein glaubwürdiges erzählerisches Anliegen ist auch mit VR kein großes Filmerlebnis zu haben.

Klassische Machart: "Der blinde Jesus"

Dass es auch anders geht, bewies ein filmisch traditioneller, inhaltlich aber ambitionierterer Beitrag zum "Löwen"-Wettbewerb am Lido. Dort legte ein Regie-Debütant, der 1985 geborene Chilene Christopher Murray, mit dem Drama "El Cristo ciego" ("Der blinde Jesus") eine bemerkenswerte Talentprobe vor. Der Film verwendet Motive aus den Evangelien und verlegt sie in die Wüste im Norden Chiles, in die Pampa del Tamarugal. Dabei gelingt Murray ein genaues Porträt der verarmten Region und ihrer Bewohner - bis auf die Hauptfigur sind alle Charaktere mit Laiendarstellern aus der Pampa besetzt -, aber auch ein bewegendes "Passionsspiel" um einen Mann, der in dieser rauen, sprichwörtlich gottverlassenen Lebenswelt den Glauben an Gottes Nähe lebendig halten will.

Um für einen verletzten Freund ein Wunder zu wirken, macht er sich auf zu einem barfüßigen Pilgermarsch durch die Wüste. Diese Wanderung koppelt Murray immer wieder an das biblische Vorbild an, ohne selbst den Anspruch zu erheben, eine "frohe Botschaft" zu haben. Er sei nicht religiös, erzählt der an der Pontificia Universidad Catolica de Chile ausgebildete Filemacher im Interview, und auch sein Werk ist trotz seiner intensiven Auseinandersetzung mit der Jesus-Figur kein "religiöser" Film. Aber einer, der sich klug und filmsprachlich versiert an der Heilsbedürftigkeit der Welt und der Sehnsucht nach einer Erlösungsperspektive abarbeitet.


Quelle:
KNA