"Luther würde twittern", ist sich Johannes Süßmann sicher. Der Historiker lehrt an der Universität Paderborn Geschichte der Frühen Neuzeit und beschäftigt sich mit der Kommunikationsstrategie Luthers. Der Reformator sei unglaublich geschickt darin gewesen, Medien zu nutzen, sagt Süßmann.
Für Luther seien die Medien nicht nur "Lautsprecher" seiner Ideen gewesen. "Luther brachte in seinen Texten die Distanz, die zwischen Autor und Leser besteht, zum Verschwinden", sagt der Wissenschaftler. Wer, wenn nicht er, würde also die Echtzeit und Unmittelbarkeit von Twitter schätzen?
#95Thesen
Die Kirche nutze dagegen soziale Medien zu wenig, um zum 500. Reformationsjubiläum im nächsten Jahr Interessierte zu erreichen, kritisiert Süßmann. Eher habe er den Eindruck, Twitter und Facebook stellten eine "lästige Erweiterung" dar. Statt vor allem auf Großveranstaltungen zu setzen, hätte man die eigene Dynamik sozialer Netzwerke nutzen können, um die Menschen für die Reformation zu begeistern, sagt der Historiker.
Einige wenige Beispiele - kirchliche wie säkulare - für Internet-Aktivitäten gibt es dennoch: #95Thesen arbeitet auf Twitter direkt mit dem Erbe Luthers: "Man spricht immer von Luthers 95 Thesen, weiß aber eigentlich gar nicht was das ist", sagt Andrea Fußstetter von der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt.
500 Variationen des Gebets
Auf Facebook und Twitter stelle man jede Woche eine These vor, 95 Wochen lang.
Das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main ruft unter dem Schlagwort #reformaction2017 dazu auf, ab September und bis zum Reformationsjubiläum 2017 das Vaterunser in verschiedenen Sprachen und Dialekten einzusprechen und hochzuladen. Ziel: Mindestens 500 - angelehnt an das Reformationsjubiläum - verschiedene Variationen des Gebets. Das Angebot solle vor allem "Spaß bringen", sagt Thorsten Spille, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit im GEP, zu dem auch die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd) gehört.
"Hier stehe ich, ich kann nicht anders"
Das nicht-kirchliche Projekt "Here I stand..." nutzt hingegen alle Formen der modernen Technik. Es erinnert an Luthers berühmten Ausspruch "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" und ist ein Internet-Ausstellungsprojekt. Ab Ende September geht es online.
Interaktive Infografiken, animierte Comics und 3D-Gemälden mit Beschreibung klären über Lutherstädte und über Politik und Gesellschaft während der Reformation auf. Die Internetseite laufe unter einer freien Lizenz, die Interessierte ermuntere, die Homepage über soziale Netzwerke zu teilen, sagt der Verantwortliche Robert Kluth vom Deutschen Historischen Museum in Berlin.
Zusätzlich könne man sich dann 3D-eingescannte Skizzen von Originalexponaten herunterladen und am 3D-Drucker fertigen lassen.
Gesucht werden Thesen, die "deine Welt verändern"
Eine Lutherbüste oder einen Pfeif-Vogel zum Beispiel, mit dem der kleine Martin gespielt hat. Das ganze Projekt sei eine "Do-it-yourself-Geschichte", sagt Kluth, und orientiere sich damit an der reformatorischen Idee. Jeder könne sich informieren, auch unabhängig von der Institution Museum.
"Gesucht: Thesen, die deine Welt verändern", heißt ein weiteres Projekt. Initiiert von der Staatlichen Geschäftsstelle "Luther 2017" in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche in Deutschland sind vor allem junge Menschen aufgefordert, Ideen zu formulieren und auf der Onlineseite "deine-these.de" zu veröffentlichen. Über 260 Thesen sind bereits online - "Wer nicht zuhören kann, lässt niemanden reden" heißt eine, eine andere: "Du kannst Personen gerne in Schubladen stecken. Lasse die Schublade aber auf, damit die Person diese verlassen kann!"
"Luther wollte gezielt Stimmung machen"
"Wir verstehen die Aktion als Impuls, sich konstruktiv mit dem gesellschaftlichen Zusammenleben zu beschäftigen", sagt Geschäftsführerin Astrid Mühlmann. Vor allem wolle man damit die Wirkung der Reformation in das Hier und Heute tragen.
Luthers Kommunikation habe direkt darauf abgezielt, Stimmung zu machen, sagt Historiker Süßmann. Er sei ein Meister darin gewesen, die Öffentlichkeit zu mobilisieren - dort, wo er sie brauchte. Ob die geplanten Online-Aktionen zum Reformationsjubiläum an Luthers Erfolg anknüpfen können, muss sich zeigen.