domradio.de: Die Kanzlerin hat am Morgen gesprochen und hat unter anderem gesagt, dass die Burka, über die ja so heiß diskutiert wird, auch Teil dieser Religionsfreiheit sei. Schließen Sie sich dem an?
Prof. Heribert Hirte (CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Stephanuskreises in der Union): Ich möchte vor allen Dingen sagen, dass die Kanzlerin sich sehr differenziert zu dieser Frage geäußert hat. Sie hat das gesagt, was ich ganz ähnlich zu Beginn der Konferenz in dem internen Forum gesagt habe: Es geht um die Abwägung verschiedener Grundrechte. Dabei müssen wir sehen: Was sind die entgegenstehenden Rechte. Und allein, dass einem etwas nicht gefällt, ist nicht ein Grund, etwas zu verbieten. Vielmehr müssen wir an den Stellen gucken, wo es zu Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kommen kann.
Die Kanzlerin hat erwähnt - und das ist auch unsere interne Diskussionsposition - dass jemand, der im Auto fährt, sich nicht durch eine Burka dem Blitz entziehen kann. Ebenso ist es während einer Gerichtsverhandlung, wo es darauf ankommt, vom Gesicht die Glaubwürdigkeit abzulesen. Da ist es etwas anderes, als nur zu sagen, jemand möchte mit anderen nicht in Kommunikation treten. An dieser Stelle ist die Sache etwas komplizierter.
domradio.de: Mit mehr Flüchtlingen aus islamischen Ländern wird die Religionsfreiheit hier in Deutschland schwieriger, weil Intoleranz ebenfalls importiert werden kann. Juden in Deutschland sehen etwa ein wachsendes Problem, ihre traditionelle Kopfbedeckung - die Kippa - in der Öffentlichkeit zu tragen. Christliche Geistliche vermissen Respekt gegenüber ihrer Ordenstracht. Was können wir diesem Trend entgegenhalten?
Hirte: Das ist ein ganz großes Problem und es ist ein beidseitiges Problem. Wir sehen natürlich, dass viele Flüchtlinge aus Ländern zu uns kommen, in denen keine Religionsfreiheit besteht, und dass sie - obwohl sie selbst vor inner-islamischer Unterdrückung fliehen - mit der Freiheit, die bei uns herrscht, nicht umgehen können. Beidseitig sage ich deshalb, weil bei uns in Deutschland eine Stimmung vorherrscht, dass Religion im Alltag keine Rolle mehr spielt.
Allenfalls zehn Prozent der Bevölkerung sagen, Religion spiele für sie im täglichen Leben eine Rolle. In Afrika sind das 90 Prozent. Und dann wird unsere Mehrheitsgesellschaft damit konfrontiert, dass plötzlich Menschen zu uns kommen, für die Religion eine Rolle spielt und für die dann auch eine andere Religion eine Rolle spielt, als die, die bei uns - jedenfalls früher einmal - die Mehrheitsreligion war. Das führt natürlich zu einer Debatte über Religion und Religionsfreiheit überhaupt.
domradio.de: Ist das etwas, was möglicherweise den Menschen in unserem Land Angst macht, wenn für andere Menschen Religion in ihrem Alltag so wichtig ist?
Hirte: Ja, das könnte sein. Deshalb habe ich an manchen Stellen auch gesagt: Wir brauchen Aufklärung beiderseits. Wir brauchen Aufklärung der Flüchtlinge darüber, dass bei uns religiöse Toleranz herrscht. Aber umgekehrt brauchen wir auch Aufklärung unserer Gesellschaft darüber, was Religionen wollen und nicht wollen. Und wir bmüssen auch darüber aufklären, dass es auch Grenzen für die Religionsfreiheit gibt.
Religionsfreiheit ist eine Freiheit von Individuen. Es geht darum, dass das Individuum sein Recht ausüben kann. Es ist aber nicht so, dass die Religion als solche geschützt ist, in der Weise, dass man sagen kann: "Religion darf nicht beleidigt werden" oder: "Man darf sich nicht kritisch über Religion äußern". Ich bin Katholik. Ich kenne die Diskussion darüber, dass die Religion als solche auch angegriffen wird und unser früherer Kölner Erzbischof kennt sie erst recht. Insofern geht es hier auch um sehr schwierige Grenzziehungen. Die Diskussion darüber ist in Deutschland doch etwas in Vergessenheit geraten und sie kommt durch die Flüchtlinge wieder zurück.
domradio.de: Religiöse Bildung, die wichtig ist, wie kann die stattfinden - etwa was die Ausbildung von Imamen und deren Finanzierung anbetrifft?
Hirte: Da sprechen Sie natürlich die Frage an, ob Religionen, die von ausländischen Staaten finanziert werden, bei uns in gleicher Weise akzeptiert werden dürfen, können und müssen, wie wir das mit anderen Religionen tun. Die Diskussion ist nicht so einfach mit ja oder nein zu beantworten. Wir müssen vor allen Dingen sehen, ob die Finanzierung dazu führt, dass unsere Grundrechte, unsere eigene verfassungsrechtliche Ordnung ins Hintertreffen gerät.
Die Türkei mit ihrer Finanzierung der Ditib ist nicht das einzige Beispiel für staatliche Religionsfinanzierung. England hat eine Staatskirche. Norwegen, Dänemark und andere Länder haben es auch. Und diese Kirchen sind bei uns anerkannt. Deshalb geht es um die Frage der Abwägung von staatlichen Interessen mit religiösen Interessen. Das ist der Punkt, an dem wir gemeinschaftlich arbeiten.
domradio.de: Sehen Sie da Handlungsbedarf bei uns?
Hirte: Ja, zumindest in der Frage, dass wir die staatlichen Grenzen klarer definieren und in manchen Fällen eben auch sagen, was wir nicht durch religiöse Gebote außer Kraft setzen können. Ich denke etwa an die Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Das ist ein ganz zentraler Punkt.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.