Was immer ein Papst tut oder nicht tut - jedes Wort, jede Geste, jede Mimik wird interpretiert. Es geht gerade im Vatikanstaat immer um Inszenierung und Selbstinszenierung. Was dabei in den vergangenen etwa 150 Jahren passierte, stand im Mittelpunkt einer Tagung in Weingarten, die am Wochenende endete.
Der Innsbrucker Historiker Christian Brunke macht wesentliche Punkte päpstlicher Eigendarstellung ganz am Anfang eines Pontifikats aus. Die Phase sei durch "besondere Dichte an Inszenierungsstrategien geprägt". Das fängt mit der Namenswahl an. So wählte Albino Luciani mit Johannes Paul I. (1978) erstmals einen Doppelnamen und setzte sich so von der Tradition ab. "Einen vorläufigen Höhepunkt charismatischer Namenswahl" sieht Brunke bei Franziskus, der einen neuen Namen einführte.
Hin zur charismatischen Inszenierung
Eine "Trendwende hin zu charismatischer Inszenierung" sieht der Historiker beim Papstwappen. Erstmals verschwindet bei Joseph Ratzinger als Benedikt XVI. (2005-2013) im Wappen die Tiara als päpstliches Symbol und wird durch eine bischöfliche Mitra ersetzt.
Der Papst aus Deutschland beendet den Prozess, den Paul VI. (1963-1978) mit der Ablegung der päpstlichen Krone beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) begonnen hatte. Nach und nach abgeschafft worden waren bis zum Konzil auch Ehrendienste innerhalb der Papstmesse, die Ausdruck von Privilegien waren und mit dem eigentlichen Geschehen nichts zu tun hatten.
Wandel in der Kleidung
Seit Johannes XXIII. (1958-1963) verabschiedet sich die Kirche laut Brunke von Elementen, die das Kirchenoberhaupt von den Bischöfe entfernen. Sie "verschwinden aus dem päpstlichen Symbolhaushalt." Bemerkbar macht sich das auch in der Kleidung. Über Franziskus sagt der Historiker: "Die absolute Nonkonformität gegenüber den zeremoniellen Vorschriften scheinen Franziskus jetzt schon zu einem noch größeren Charismatiker zu machen als Johannes Paul II."
Den Zusammenhang zwischen der Entwicklung im Papstamt und modernen Massenkommunikation beleuchteten der Innsbrucker Kirchenhistoriker Günther Wassilowsky und der Potsdamer Zeithistoriker Rene Schlott. Während die Todesnachricht von Gregor XVI. (1831-1846) erst mit einwöchiger Verspätung Großbritannien erreichte, macht Schlott ab Pius IX. (1846-1878) einen "Exitus-Wettlauf" aus. Zum Tod von Leo XIII. (1878-1903) gab es bereits Sonderausgaben.
Theologisch aufgeladen
Seitdem gilt der Satz, dass Monarchen nicht einsam sterben - manchmal werden sie im medialen Wettlauf auch für tot erklärt, obwohl sie noch leben. Und seitdem beschreiben laut Schlott Journalisten immer wieder Rituale beim Tod eines Papst, die es nicht mehr gibt. Wichtig sei geworden, dass es "keine banalen letzten Worte" geben dürfe. Vielmehr müssen solche Sätze immer "theologisch aufgeladen" sein.
Auch für Günther Wassilowsky fokussiert sich das moderne Papsttum in seiner öffentlichen Inszenierung zunehmend auf den universalen Charakter. Tritt ein neuer Papst erstmals auf, "schaut mit einem Schlag die gesamte Weltöffentlichkeit auf ihn". Wie kein anderer Papst vor ihm war für Wassilowsky Johannes Paul II. (1978-2005) auf diesem Feld "produktiv und erfinderisch" und schuf eine "völlig neuartige päpstliche Eventkultu.
Ritual des Bodenkusses
Karol Wojtyla gilt als der am häufigsten fotografierte und gefilmte Mensch der Weltgeschichte. Wassilowsky erinnerte bei der von Geschichtsverein und Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart organisierten Tagung an das "bildmächtige Ritual des Bodenkusses" nach einer Landung oder die Pressekonferenz bei Rückflügen.
Die stärkste Veränderung macht der Historiker in der "Transformation von einem höfischen Staats- und Herrschaftszeremoniell hin zu einer Inszenierung der Päpste als universale Seelsorger" aus. Radikal treibt diesen Prozess Franziskus voran. Für Wassilowsky historisch beispiellos: Was hat die Inszenierung eines Franziskus, der am Gründonnerstag weiblichen Gefängnisinsassen die Füße wäscht, noch mit der ikonen- und mysterienhaften Selbstdarstellung Pius XII. (1939-1958) zu tun?"
Dazwischen liegen 55 Jahre. "Rasant und durchgreifend" sei der Wandel. Als Chefs der größten transnationalen Vereinigung haben die Päpste aus Sicht des Historikers das Potenzial, "als eine Art moralische Supermacht oder moralisches Weltgewissen" angesehen zu werden.