In Sassovivo lebt eine alte Tradition syrischer Mönche fort

Bei den Eremiten von Umbrien

​Die Abtei hoch über Foligno wird kaum in Reiseführern erwähnt. Doch die Anlage inmitten von Steineichenwäldern ist nicht nur ein kunsthistorisches Kleinod - sie führt zurück bis in die ersten Jahrhunderte des Mönchtums.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Umbrien in Italien / © Alessandro di Meo (dpa)
Umbrien in Italien / © Alessandro di Meo ( dpa )

Von Foligno geht es eine Stichstrecke nach Sassovivo hinauf, immer hindurch zwischen Oliven und Steineichen. Ihre knorrigen Stämme mögen Jahrhunderte gesehen haben, und ihre vernarbte Rinde erzählt von manchem Brand. Das Grün täuscht: Es ist ein karges Tal, steinig, kaum das nötigste zum Leben bietend. Mönche aus dem Libanon und Syrien mochten sich an ihre Heimat erinnert haben, als sie vor vielen Jahrhunderten hier Zuflucht fanden.

Die Abtei Sassovivo ist der noch immer lebendige Ausweis einer uralten Mönchstradition an den Hängen des Apennin. Die ersten Mönche kamen im 7. oder 8. Jahrhundert aus dem östlichen Mittelmeerraum und Vorderen Orient nach Italien, vermutlich um dem Streit um die rechtmäßige Verehrung von Ikonen zu entgehen. Heute leben hier fünf Brüder der "Piccoli Fratelli di Jesus Caritas", einer jungen Gemeinschaft, die ihrerseits in der Nachfolge des französischen Wüsteneremiten Charles de Foucauld (1858-1916) steht.

Wie in einer Studenten-WG

Eigentlich ist es eine viel zu monumentale Anlage für die wenigen Bewohner. Einst zählte die Abtei um die 70 Mönche. Fast scheint sie eine Stadt im Kleinen mit ihren weitläufigen Wohn- und Wirtschaftstrakten, den offenen Höfen und verwinkelten Wegen. Die Brüder, die in Foligno in der Seelsorge wirken und eine Bibliothek betreiben, belegen in dem festungshaften Gemäuer kaum mehr Platz als eine durchschnittliche Studenten-WG. Aber ihr Leben schlägt einen Bogen zurück zu den Anfängen.

Das war, als die ersten Mönche in den Eichenwäldern aus Ästen und Feldsteinen Hütten bauten und nahe einer Quelle im Talschluss ihr Zentrum für Gottesdienste und Zusammenkünfte errichteten. "Ein idealer Ort für Eremiten - wegen des steinigen Bodens nicht kultivierbar, aber mit Stille und Wasser", sagt Bruder Giovanni Marco, ein junger Diakon.

Mit der Macht begann das Ende

Dann, im 11. Jahrhundert, eine Veränderung: Unversehens erscheint in Akten ein Abt namens Meinhard auf. Zur gleichen Zeit unternimmt Papst Gregor VII. (1073-1085) eine umfassende Kirchenreform; er stärkt das Mönchtum und die Stellung der Kirche gegen die weltliche Macht. In dem Zuge erlebt Sassovivo als Benediktinerabtei einen unglaublichen Aufschwung: 1138 besaß sie mehr als 30 Pfarreien; 100 Jahre später hingen an Sassovivo 92 Klöster und an die 150 Pfarreien in Latium, Umbrien und den Marken.

Die strategische Lage mag dies begünstigt haben: Sassovivo kontrolliert einen Abzweig der Via Flaminia, die Rom mit der Adriaküste verbindet. Foligno hatte den Rang eines "Landhafens", eines Umschlagplatzes für Waren vom Orient in den Kirchenstaat. Alte Dokumente bezeugen den Einfluss der Abtei: "In Prozessen hatte das Kloster in neun von zehn Fällen Recht", sagt Giovanni Marco. "Aber die Macht war der Beginn des Niedergangs."

Neue Ära, wenige Mönche

Der Blütezeit verdankt sich noch der wunderbare Kreuzgang mit gedrehten Doppelsäulen und Cosmaten-Arbeiten, ein Meisterwerk päpstlicher Steinmetze. Drei Jahre vor seiner Fertigstellung 1229 war im nahen Assisi der Bettelbruder Franziskus gestorben. Eine neue Ära kündigte sich bereits an. Im 15. Jahrhundert zählte Sassovivo statt 70 nur noch 15 Mönche - und selbst die zogen es vor, in Foligno zu residieren und im Kloster zwei, drei Aufpasser zurückzulassen.

Was blieb, war aber eine vitale Verbindung zum Orient: Der Adlige Michele di Uppello hatte vom Ersten Kreuzzug den Schädel des frühchristlichen syrischen Eremiten Maron mitgebracht, auf den sich die heutige Kirche der Maroniten bezieht. Die Reliquie begründete eine Wallfahrt östlicher Christen bis heute - auch wenn der Schädel inzwischen gestohlen wurde.

Was bleibt?

Der größte Schatz der Abtei bleibt die Stille. Das Bistum Foligno, das sich mit einem privaten Besitzer und dem italienischen Staat die Last des Unterhalts teilt, hält hier im Sommer Einkehrtage ab. Auch Einzelgäste sind willkommen, «nur nicht mehr als sechs bis neun, sonst wird das Wasser knapp», sagt Giovanni Marco. Wie vor tausend Jahren lebt das Kloster von der Quelle, die ihm den Namen gab: Sassovivo - der lebendige Fels.


Quelle:
KNA