Erste US-Einrichtung für Familienplanung vor 100 Jahren

Das Haus der Margaret Sanger

Margaret Sanger ging vor 100 Jahren erst neue Wege und danach in den Bau. Ihr Thema - Abtreibung und Empfängnisverhütung - erregt in den USA bis heute die Gemüter; Gewalt nicht ausgeschlossen.

Autor/in:
Ronald Gerste
Mutter und Kind in Kirchenbank / © Harald Oppitz (KNA)
Mutter und Kind in Kirchenbank / © Harald Oppitz ( KNA )

Es war etwas unerhört Neues, das sich da im New Yorker Stadtteil Brooklyn tat. Am 16. Oktober 1916, vor 100 Jahren, eröffnete die Aktivistin Margaret Sanger in der 46 Amboy Street die erste als "Klinik" bezeichnete Beratungsstelle in den USA, in der sich Frauen über Methoden der Empfängnisverhütung und Familienplanung informieren konnten.

Sanger, eine ausgebildete Krankenschwester, hatte in den von Migranten bewohnten Elendsvierteln von New York viel Leid gesehen: Armut, die dank stetig wachsender Familien unerbittlich zunahm; und auch das Leid von Frauen, die bei Pfuschern Abtreibungen hatten vornehmen lassen oder bei sich selbst versuchten - mit Stricknadeln und anderen Mitteln und mit oft tödlichen Folgen auch am eigenen Körper.

Mehr als 100 Frauen am Eröffnungstag

Kenntnisse über Möglichkeiten, nicht schwanger zu werden, hatten die Frauen nicht. Sie zu vermitteln, war vom Gesetzgeber 1873 verboten worden. Im sogenannten Comstock Act hatte der US-Kongress den Versand von Materialien mit Informationen über Empfängnisverhütung als "obszön" unter Strafe gestellt.

In Schriften zog Sanger eine Linie von der Empfängnisverhütung zur Stärkung der Stellung der Frau in der amerikanischen Industriegesellschaft. Diese Radikalität zwang sie zur Flucht nach England. 1915 besuchte sie eine auf Familienplanung spezialisierte Einrichtung in den Niederlanden und beschloss, gegen alle Widerstände eine solche Institution in den USA zu gründen. Die Klinik war aus Sicht ihrer Organisatorinnen ein voller Erfolg. Bereits am Eröffnungstag kamen mehr als 100 Frauen.

Gefängnisstrafe für Sanger

Die Reaktion der Obrigkeit ließ nicht lange auf sich warten. Nach nur neun Tagen kam die Polizei und verhaftete Sanger und ihre Mitarbeiterinnen. Sanger kam auf Kaution frei und öffnete die Klinik wieder - allerdings ebenfalls nur für wenige Tage. Dann folgte die erneute Verhaftung. Das Beweisstück für ihre illegalen Aktivitäten war klein und aus Kautschuk: Die Behörden hatten eine Polizistin in Zivil in die Beratungsstelle geschickt, und diese erhielt dort ein Pessar.

Anfang 1917 wurde Sanger zu 30 Tagen Gefängnis verurteilt - wie auch später viele andere Aktivisten für Geburtenkontrolle und für die Information von Frauen über ihre reproduktiven Körperfunktionen. Im gleichen Jahr traten die USA in den Ersten Weltkrieg ein, mit einem unerwarteten Nebeneffekt. Viele nach Europa gesandte US-Soldaten machten dort Erfahrungen mit Kondomen, die sie zum Schutz vor den in Armeebordellen grassierenden Geschlechtskrankheiten benutzten. Die Kenntnisse im Umgang mit Präservativen brachten sie mit zurück nach Amerika.

Historische Wendemarke

Margaret Sanger eröffnete 1923 eine zweite Klinik. Diesmal schritt die Polizei nicht mehr ein. Die sinnenfrohen "Roaring Twenties" waren den Möglichkeiten, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern, wesentlich aufgeschlossener als noch die Dekade zuvor. Sanger gab eine Zeitschrift zu Geburtenkontrolle heraus und gründete 1921 die American Birth Control League, ein Vorläuferin der heutigen Organisation Planned Parenthood. Als Sanger 1966 starb, hatte der Oberste US-Gerichtshof Empfängnisverhütung gerade endgültig für legal erklärt.

Sangers erste Klinik war eine historische Wendemarke. Die Stadt New York indes sieht in dem Gebäude keine zu schützende und zu pflegende Stätte. Wie so oft bei historischer Bausubstanz in den USA wirkt das Haus in der 46 Amboy Street verwahrlost und abbruchreif, mit zugemauerten Fenstern und graffitibeschmierter Backsteinfassade.

Im Fadenkreuz der Politik

"Planned Parenthood" liegt heute im Fadenkreuz der meisten republikanischen Kandidaten, ob auf Landes-, Bundesstaats- oder kommunaler Ebene. Das Wahlversprechen, der Organisation öffentliche Mittel zu sperren oder Räume zu verweigern, dient auch dazu, religiös-konservative Wähler zu binden.

Doch dies ist keine Mehrheitsmeinung. 89 Prozent der Demokraten- und 59 Prozent der Republikaner-Wähler sind gegen eine Streichung von Bundesmitteln. Wenn es um Abtreibung geht, werden in den USA oft alle Mittel ausgeschöpft. Seit 1993 gab es 11 Morde und 26 Mordversuche an Abtreibungskliniken oder gegen Ärzte und Patientinnen. Die Rechtfertigung: Abtreibung sei auch Mord.

Änderungen nach Gesundheitsreform

Tatsache ist aber auch: Mit der Gesundheitsreform des amtierenden Präsidenten Barack Obama sich haben sich einige Sachverhalte um Verhütung und Abtreibung verkehrt. Was früher verboten war, ist mittlerweile quasi verpflichtend: Selbst kirchliche Arbeitgeber müssen entsprechende Angebote in ihren Krankenversicherungspaketen mit abdecken.


Quelle:
KNA