domradio.de: Gibt es aktuell überhaupt noch Christen in Mossul?
Berthold Pelster (Fachreferent für Öffentlichkeitsarbeit und Experte zum Thema Christenverfolgung beim Hilfswerk Kirche in Not): Nein, es gibt so gut wie keine Christen mehr. Die sind vor zwei Jahren von den Terrormilizen des IS vertrieben worden. Man hat sie vor die Wahl gestellt, zum Islam überzutreten oder die Region zu verlassen, andernfalls würde ihnen der Tod drohen.
domradio.de: Wo sind diese Menschen dann hin geflohen?
Pelster: Die sind in den kurdischen Teil des Iraks geflüchtet, also in die sogenannte autonome Region Kurdistan. Das ist im Irak das sicherste Gebiet. Es sind damals mehr als 120.000 Christen aus Mossul und den umliegenden Dörfern der Ninive-Ebene geflüchtet.
domradio.de: Gehen wir davon aus, dass die Bemühungen erfolgreich sind und Mossul befreit wird. Heißt das für die Christen, sie können wieder zurückkehren?
Pelster: So einfach ist das nicht. Wir haben immer von Bischöfen, mit denen wir im Irak zusammenarbeiten, gesagt bekommen, dass viele Christen das Vertrauen verloren haben in ihre muslimischen Nachbarn.
domradio.de: Warum ist das so?
Pelster: Es war damals so, dass diese Nachbarn, mit denen die Christen oft für Jahrzehnte friedlich zusammengelebt haben, plötzlich, als der IS die Stadt erobert hatte, die Christen geplündert haben oder dem IS gezeigt haben, wo Christen gewohnt haben, damit sie vertrieben werden konnten. Die Christen werden es sich gut überlegen, ob sie nach Mossul zurückkehren.
domradio.de: Das bedeutet, der IS ist nicht die einzige Bedrohung für die Christen im Land?
Pelster: Nein, gar nicht. Was im Moment ansteht, ist die militärische Befreiung der Millionenstadt Mossul. Aber viel größer ist die Herausforderung, dieses islamistische Gedankengut aus der Welt zu schaffen. Selbst wenn die IS-Truppen vertrieben werden, weiß man ja nicht, ob sie nicht eines Tages zurückkehren, und viele Menschen sind einfach infiziert von diesem Gedankengut.
domradio.de: Gibt es denn Bemühungen in diese Richtung?
Pelster: Es gibt hochrangige muslimische Religionsgelehrte, die einerseits die Gewalt des IS verurteilt haben und andererseits dazu aufrufen, den Koran zeitgemäß und gewaltfrei zu interpretieren. Aber bis sich diese reformatorischen Ansätze bis an die Basis ausgebreitet haben, wird viel Zeit vergehen. Da müssen wir sicher noch ein bis zwei Generationen warten. So lange besteht Gefahr für religiöse Minderheiten und Christen.
domradio.de: Sie haben angesprochen, dass die Christen nach Norden geflohen sind. Geht es ihnen dort denn besser?
Pelster: Durch die Hilfe von westlichen Hilfsorganisationen, unter anderem auch Kirche in Not, konnten Notunterkünfte gebaut werden. Wichtig war, dass für die Kinder Schulen gebaut werden, denn diesen Flüchtlingskindern hat man ja die Heimat geraubt und man darf nicht zulassen, dass ihnen auch noch die Zukunft geraubt wird. Die Ausbildung ist darum sehr wichtig, und es ist auch ein wichtiger Faktor, dass die Eltern wieder Mut schöpfen und vielleicht Hoffnung bekommen, zumindest in diesem Teil des Iraks bleiben zu können.
domradio.de: Spielt ihre Arbeit in diesem Punkt eine besonders große Rolle?
Pelster: Wir haben finanziell dazu beigetragen. Kirche in Not hat circa 21 Millionen Euro in den vergangenen Jahren an Hilfsgeldern bewilligt. Das meiste Geld ist in den letzten zwei Jahren dorthin gegangen. Auch andere Hilfsorganisationen haben dort geholfen. Wer also den Christen im Irak helfen möchte, kann das beispielsweise durch Spenden an Kirche in Not tun.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.