Caritas-Flüchtlingshelfer über die Lage im Nordirak

"Keiner ist vorbereitet"

Nach dem Start der Militäroffensive im Irak rund um die Stadt Mossul erwarten Experten eine große Flüchtlingsbewegung. Rudi Löffelsend von der Caritas-Flüchtlingshilfe engagiert sich vor Ort und sieht eine Region im Chaos.

Flüchtlingswelle im Irak erwartet / © Jens Kalaene (dpa)
Flüchtlingswelle im Irak erwartet / © Jens Kalaene ( dpa )

domradio.de: Über eine Million Menschen werden in der Stadt Mossul noch vermutet. Man rechnet mit langen Kämpfen um die Rückeroberung - dementsprechend mit vielen Flüchtlingen. Gehen Sie davon aus, dass das Flüchtlingscamp, für das Sie sich im Nordirak einsetzen, auch eine Anlaufstelle werden könnte für die Flüchtlinge aus Mossul?

Rudi Löffelsend (Caritas-Flüchtlingshilfe Essen): Ich vermute es zumindest. Wir haben ein Lager, in dem fast ausschließlich Jesiden wohnen. Da gibt es noch etliche in und um Mossul rum. Die werden wahrscheinlich auch versuchen, dahin zu kommen.

domradio.de: Die prognostizierte Gesamtzahl liegt bei bis zu 700.000 Flüchtlingen. Wie steht es denn um Kapazitäten bei Ihnen?

Löffelsend: Die meisten würden in den Nordirak, also in die autonome Region Kurdistan flüchten. Das ist eine Region mit 4,5 Millionen Einwohnern und jetzt schon 2,3 Millionen Flüchtlingen. Da ist keiner auf einen solchen Andrang vorbereitet. Die Regierungen haben den Krieg monatelang sehr exakt vorbereitet, aber sehr wenig getan, um mit den Flüchtlingsbewegungen fertig zu werden.

domradio.de: Bundesaußenminister Steinmeier mahnt in einem Interview mit der FAZ, man müsse sich Gedanken über den Tag nach der Großoffensive machen. Wie sehr denkt die irakische Regierung denn Ihrer Meinung nach in die Zukunft?

Löffelsend: Das wissen wir am Donnerstag. Dann gibt es in Paris eine Konferenz der irakischen Regierung mit westeuropäischen Staaten. Es geht ja auch um einen Wiederaufbau und Rücksiedlungsprogramme. Aber das ist erst der zweite Schritt. Der erste Schritt ist zunächst, die zu erwartenden Mengen vernünftig unterzubringen. Da klafft noch eine große Lücke.

domradio.de: Haben Sie eine Idee?

Löffelsend: Was man braucht, ist Geld. Das ist wie im normalen Leben. Man muss einfach jetzt sehr schnell handeln und einfache Erstaufnahmelager mit Zelten errichten. Obwohl selbst das schon schwierig wird, weil der Winter bereits vor der Tür steht. Oder es müsste die Regierung in Kurdistan so wie im Jahr 2014, als die erste Riesenwelle aus Mossul kam, alle öffentlichen Gebäude wie Schulen zunächst als Notaufnahmelager zur Verfügung stellen. Dann gibt es auf der anderen Seite ein Vierteljahr keinen Unterricht, was natürlich auch nicht optimal ist.

domradio.de: Auf der Landkarte ist es nur ein Katzensprung von Mossul in die Region, in der Sie engagiert sind. Was kann man machen, wenn man ihre Arbeit vor Ort unterstützen will?

Löffelsend: Ganz einfach: Spenden. Es hilft nur Geld, um die Arbeit fortzusetzen. Das war einer der Hauptgründe für die Fluchtbewegungen im letzten Jahr. Es gab zu wenig Geld, um sich Essen zu kaufen, es gab keine Versorgung mit Medikamenten, es gab keinen Unterricht mehr, weil die Lehrer nicht bezahlt werden konnten. Damit hat die Fluchtwelle eingesetzt. Das kann nun wieder passieren, wenn die Bedingungen nicht stimmen und die Menschen wenigstens mit einem Minimum an Menschenwürde und ausreichend Essen dort leben sollen.

domradio.de: Die Rückeroberung Mossuls scheint ja schon eine ausgemachte Sache zu sein, wenn man auf die bloßen Zahlen von Angreifern und Verteidigern blickt. Und man nimmt an, dass auch der IS genau weiß, dass Mossul nicht zu halten ist. Das heißt aber auch, dass die ganzen ausländischen Kämpfer des IS auf die Idee kommen könnten, wieder in ihre Heimatländer zurückzukehren. Kann das auch zu einem Problem für die Sicherheitslage in den Lagern werden?

Löffelsend: Ja. Ein Teil wird vielleicht auch wieder verdeckt in Lager gehen, um den Weg in den Westen mit einer falschen Identität zu wählen. Ich habe aber auch den Eindruck, dass Europa inzwischen ein bisschen besser gerüstet ist und besser kontrolliert als im letzten Jahr und man da schon ein wenig ausfiltern kann.

Das Interview führte Daniel Hauser.


Rudi Löffelsend / © Sonya Winterberg (KNA)
Rudi Löffelsend / © Sonya Winterberg ( KNA )
Quelle:
DR