Vor 150 Jahren wurde der Mailänder Reichen-Friedhof eröffnet

Die erträgliche Vergänglichkeit des Seins

Auf dem prächtigsten Friedhof Italiens kann man die Gräber der ganz Reichen bestaunen. Mailands "Cimitero Monumentale", seit genau 150 Jahren in Betrieb, verdient seinen Namen - und ist allein schon eine Reise wert.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Große Familiengräber nahe dem Eingangsbereich, auf dem Prominentenfriedhof Cimitero Monumentale in Mailand am 30. September 2010.  / © Alexander Brüggemann (KNA)
Große Familiengräber nahe dem Eingangsbereich, auf dem Prominentenfriedhof Cimitero Monumentale in Mailand am 30. September 2010. / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Endlich Ruhe - und was für eine! Im Nordosten des Mailänder Großstadtgetöses, unweit der Piazza Garibaldi, liegt der Cimitero Monumentale. Hier treffen sich die Reichen und Schönen, wenn sie gestorben sind. In Mailand zeigt man Reichtum nicht so demonstrativ wie anderswo auf der Welt. Schlichte Eleganz prägt den leicht spröden Alltag der italienischen Geschäfts- und Finanzmetropole. Doch im Tod wird alles nachgeholt.

Milano, Cimitero Monumentale: das ist der prunkvollste, der prächtigste von allen Friedhöfen Italiens. Pläne, die kleinen, ungesunden Vorstadtfriedhöfe durch einen zentralen Großfriedhof zu ersetzen, gab es schon seit den 1830er Jahren. Die Unabhängigkeit von Österreich gab 1862 die Gelegenheit, das Projekt in die Tat umzusetzen. 1866, vor 150 Jahren, wurde das rund 200.000 Quadratmeter große Areal eröffnet.

Kunstwerke über Kunstwerke

Es ist ein Friedhof der Superreichen, gestaltet von den besten Künstlern ihrer Zeit. Der Name des Cimitero Monumentale ist Programm. Griechische Tempel, ägyptische Pyramiden, bis zu 20 Meter hohe Obelisken prägen das Bild - vermeintliche Bollwerke gegen die Vergänglichkeit. Christus, eine Sphinx und ein faschistischer Sämann stehen in direkter Nachbarschaft. Bullige Trutzburgen, glatte Glaspaläste, gigantische Katafalke und zarte Jugendstil-Gespinste: Ein jeder hier schielt bis heute auch auf das Nachbargrab, um den Nächsten wo möglich zu übertrumpfen.

Schon in der Ruhmeshalle am Eingang, dem 250 Meter langen Aushängeschild des Cimitero, haben die Künstler dem Pathos freien Lauf gelassen. Düstere, mönchsartige Gestalten versammeln sich schweigend um ein klotziges Wandgrab. Einige Totenhäuser weiter sucht eine verzweifelte Mutter mit ihrem Säugling im Arm vergeblich Einlass in die Grabkammer des Geliebten. Trübsal, Gram, fassungslose Lethargie, aber auch ekstatische Jenseitssehnsucht zeigen sich auf den Gesichtern.

Emotionen und Lebendigkeit

Und überhaupt: Die Körperhaltungen spiegeln die aufgewühlte Gefühlswelt der Zeit: hingeworfen über das Grab, verklärt himmelwärts strebend, haareraufend und gekrümmt vor Schmerz. So stark kehren sie ihre Emotionen nach außen, dass man fast Sorge bekommt, das ganze Panoptikum werde in klaren Vollmondnächten wieder lebendig.

Die Industriellen-Familie Motta wählte als Form ihrer letzten Ruhestätte einen gigantischen Granitzylinder, der an ihr weltberühmtes Kuchen-Erfolgsmodell erinnert, den Panettone. Die Campari versammelten über ihrem Grab einen Bronze-Jesus sowie die Zwölf Jünger zum Letzten Abendmahl. Der Baumwollmagnat Bernocchi gönnte sich nicht weniger als 100 Marmorskulpturen auf seinem zwölf Meter hohen Spiralturm.

Denker, Lenker und Schenker

Andere zeigen stolz ihre Fabrik auf der Familiengruft, inmitten von Zahnrädern und hämmernden Werktätigen: Denker, Lenker und Schenker mit gravitätischen Bärten, Frack und Hemdweste; Offiziere und Entdecker mit Gewehr und Tropenhelm.

Weit entfernt von all den monumentalen Aufbauten, Sensenmännern und Trompeten von Jericho, ganz am Ende an der Mauer, liegt das bescheidene Grab des Vorstadtpriesters Giuseppe Gervasini (1867-1941), den das einfache Volk als Wunderheiler verehrte. Die Kirchenleitung hatte so ihre Probleme mit seinen Methoden. Gervasini fiel zunächst in Ungnade, um später doch rehabilitiert zu werden.

Pilgern mit Blumen

Bis heute fließt ein kleiner, aber stetiger Strom von Pilgern mit Blumen zu seinem Grab. Und auch ein weiterer prominenter Geistlicher hat hier seine letzte Ruhe: der 2005 gestorbene Papstfreund und Gründer der Gemeinschaft Comunione e Liberazione, Luigi Guissani. Vor seinem modernen Glasgrabmal an der zentralen Friedhofsachse beten vor allem junge Menschen.

Am Ende aber wird sich nicht jeder auf dem Cimetero Monumentale mit seiner pompösen Grablege Freunde gemacht haben - denn, so wusste bereits der antike Mailänder Bischof, Kirchenvater und Hymnendichter Ambrosius (um 340-397): "Häufig haben Reiche keine Freunde. Denn es gibt keine Freundschaft, wo falsche Schmeichelei herrscht."


Quelle:
KNA