Blickt man auf die Statistiken, steckt die Organspende in einer tiefen Krise. Glaubt man indes führenden Fachmedizinern, herrscht in der Transplantationsmedizin Aufbruchstimmung. Das jedenfalls schrieb der medizinische Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Axel Rahmel, zusammen mit anderen Experten jüngst im "Deutschen Ärzteblatt".
Auf einem guten Weg
"Insgesamt ist Deutschland bezüglich der Organspende und des Transplantationswesens auf einem guten Weg", so Rahmel und der Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft, Bernhard Banas, sowie Björn Nashan, Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Bei der am Donnerstag in Frankfurt beginnenden Jahrestagung der DSO soll ein großer Strauß laufender und noch ausstehender Reformen diskutiert werden. Erwartet wird dort auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU).
Fest steht: Die Zahl der Organspender ist zwischen 2010 und 2013 und ein Drittel zurückgegangen - von 1.296 auf 876 Spender. Seither stagnieren die Spenderzahlen auf niedrigem Niveau. Weithin wird dafür der Vertrauensverlust verantwortlich gemacht, der durch mehrere Skandale an Transplantationszentren entstanden ist und 2012 bekannt wurde.
Erhebliches Informationsdefizit
Rahmel und seine Co-Autoren weisen allerdings darauf hin, dass der Rückgang schon vor dem Skandal einsetzte. Verantwortlich dafür seien auch "erhebliche Struktur-, Qualifikations- und Qualitätssicherungsdefizite im Transplantationsbereich", argumentieren sie. So offenbarten Umfragen unter Medizinern und Pflegepersonal in Krankenhäusern "ein erhebliches Informationsdefizit zur Organspende und Transplantation, gepaart mit einer relativ hohen Ablehnung der Transplantationsmedizin".
Die Autoren kritisieren zudem deutliche Defizite bei den Transplantationsbeauftragten, die jedes Krankenhaus mit Intensivmedizin benennen muss. So hätten manche Kliniken Mitarbeiter einfach zu Transplantationsbeauftragten ernannt, ihnen dann aber keine Gelegenheit zur Fortbildung gegeben. Auch die Kostenerstattung für beteiligte Krankenhäuser sei noch ungeklärt. Bis heute gibt es zudem keine bundesweite einheitliche spezialisierte Ausbildung zum Transplantationsmediziner.
Das soll sich ändern: Die Deutsche Transplantationsgesellschaft hat eine Zusatzweiterbildung für "Transplantationsmediziner" entwickelt. In Sachsen-Anhalt ist sie seit April beschlossene Sache; die bundesweite Verabschiedung ist für 2017 geplant. Auch für die Transplantationsbeauftragten wurde ein Lehrplan zur Weiterbildung entwickelt, der in Frankfurt diskutiert werden soll.
Umstrittenes Thema Hirntod
Gleich zwei Themenblöcke befassen sich bei der Jahrestagung mit dem stets umstrittenen Thema Hirntod. Die Richtlinie zur Feststellung des Todes durch den Nachweis des unwiderruflichen Ausfalls der Hirnfunktion wurde überarbeitet und wird derzeit kritisch diskutiert und bewertet.
Überarbeitet werden von der Ständigen Kommission Organtransplantation auch die Richtlinien zu allen Bereichen der Organtransplantation: zu Nieren-, Pankreas-, Leber- und Herztransplantation. Neue kommen dazu, zum Beispiel zum Spenderschutz und Aufklärung bei der Lebendspende.
Dabei geht es auch um die Frage, wer ein Organ erhalten darf und mit welcher Priorität es zugeteilt wird. Kriterien sind Erfolgsaussicht und Dringlichkeit, die in Konkurrenz zueinander stehen. Dieser Prozess soll Ende 2017 abgeschlossen sein.
Meilenstein Transplantationsregister
Als Meilenstein sehen die Autoren auch das in diesem Herbst beschlossene Transplantationsregister. Es soll alle bundesweit erhobenen Daten von der Organentnahme bis hin zur Nachbetreuung zentral zusammenfassen. Politiker und Experten hoffen, dass mit diesen Daten die Kriterien für die Warteliste sowie für die Verteilung der Spenderorgane weiterentwickelt werden können und mehr Transparenz geschaffen wird.
All diese Maßnahmen sollen auch das Vertrauen in die Organspende wieder stärken und aus dem Spendertief herausführen. Eine Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Anfang 2016 zeigt eine positive Tendenz: 81 Prozent der Befragten sehen die Organspende eher mit Zustimmung - das ist der höchste Prozentsatz seit 2010 (79 Prozent).