Landtagsabgeordnete Güler zur Flüchtlingssituation in Marokko

"Große Hoffnungslosigkeit"

Im Transitland Marokko stranden tausende Menschen bei ihrem Versuch, nach Europa zu gelangen. Nach einem Besuch dort spricht die CDU-Landtagsabgeordnete Serap Güler im domradio.de von einer alarmierenden Elendssituation.

Flüchtlinge aus Marokko / © Socrates Baltagiannis (dpa)
Flüchtlinge aus Marokko / © Socrates Baltagiannis ( dpa )

domradio.de: Was genau war der Grund für Ihre Reise?

Serap Güler (CDU-Landtagsabgeordnete aus Köln): Der Grund war, sich die Flüchtlingssituation in Marokko anzuschauen, weil Marokko eines der Transitländer ist. Ich war letztes Jahr schon auf Lesbos, in Libanon und in der Türkei, um zu verstehen, wieso die Menschen nach Europa kommen wollen. Deshalb bin ich diesmal auch zusammen mit Mitgliedern der evangelischen Kirche und Landtagskollegen nach Marokko gereist.

domradio.de: Wie genau sieht die Situation aus? Sie haben einige Fotos auf Ihrer Facebook-Seite hochgeladen. Können Sie beschreiben, was Sie gesehen haben?

Güler: Man sieht eigentlich nur Elend! Man kann auch nicht von wirklichen Lagern oder Camps sprechen, wo die Menschen hausen. Das sind freie Plätze, wo sie sich niedergelassen haben, wo sie lange von der Polizei weggeprügelt oder weggejagt worden sind. Mittlerweile toleriert man sie, drückt ein Auge zu. Aber es gibt keinerlei Hilfe vom Staat.

Das kann man zwar kritisieren, auf der anderen Seite muss man es aber auch verstehen. Ein Land, in dem die Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebt, ist nicht in der Lage, alleine Hilfe zu leisten oder die Situation alleine aufzufangen. Die Menschen leben noch nicht mal in Zelten, sondern in Behausungen, mit Decken und Dingen zusammengebastelt, wo sie einfach nur schlafen können. Es ist einfach eine Elendssituation, mit der man da ganz hart konfrontiert wird. 

domradio.de: Sie gehen da sogar noch einen Schritt weiter und schreiben in Ihrem Post, dass die Menschen dort auch ausgebeutet werden. Inwiefern das?

Güler: Die Menschen werden ausgebeutet, denn die meisten haben überhaupt nicht die Möglichkeit zu arbeiten. Ihnen fehlen sämtliche Papiere. Die wenigsten Flüchtlinge werden anerkannt. Sie werden ausgebeutet, wenn sie versuchen, etwa auf dem Bau schwarz zu arbeiten. Dann verspricht man ihnen eine Tageslohn von umgerechnet sieben bis acht Euro. Am Ende des Tages heißt es dann, sie würden ihr Geld nach einer Woche bekommen. Am Ende der Woche heißt es, sie würden es am Ende des Monats bekommen.

Und so haben wir Menschen getroffen, die mehrere Wochen oder Monate irgendwo gearbeitet haben, ohne das Geld zu bekommen, was ihnen versprochen wurde. Es gab auch Menschen, die wir getroffen haben, die letztendlich nichts bekommen haben. Das meine ich mit Ausbeutung. 

domradio.de: Jetzt haben Sie eben schon angedeutet: Marokko hat als Transitland ja auch eine ganz besondere Rolle. Wie kann man denn Ihrer Meinung nach eine Lösung für diese schreckliche Lage finden?

Güler: Es ist wirklich tatsächlich sehr, sehr schwer, eine Lösung dafür zu finden. Marokko kann in dem jetzigen Zustand nicht als Auffangbecken dienen. Aber es ist auch egoistisch, wenn wir sagen: Um die Menschen von uns wegzuhalten, müssten wir jetzt Transitländer wie Marokko unterstützen. Nichts desto trotz müssen wir versuchen, Lösungen auf verschiedenen Ebenen zu finden. Die meisten, die dort versuchen zu überleben, sind junge Männer aus der Subsahara, die sich mit Hoffnungen auf den Weg gemacht haben. Wenn Ihnen ein 19-jähriger junger Mann sagt: "Es ist für mich kein Unterschied, ob ich hier bleibe und einen langen Tod erfahre oder ob ich mich in ein Kinderschlauchboot setze und versuche, das Mittelmeer zu überqueren und dabei möglicherweise ertrinke." - also, wenn ein 19-Jähriger da einfach keinen Unterschied mehr sieht, die Hoffnungslosigkeit so groß ist, dann ist diese Situation alarmierend.

Die Subventionspolitik, die meines Erachtens in diesen Ländern geleistet wird, ist nicht unbedingt die richtige. Wenn Menschen vor Ort ihre eigenen Produkte nicht mehr verkaufen können, weil die Produkte aus Europa für die Leute günstiger angeboten werden, dann ist das nicht richtig. Das sind Dinge, die ich mit falscher Subventionspolitik meine. Auch der Bund muss sich nochmal über seine Entwicklungshilfe Gedanken machen, wie man sie richtig einsetzen kann. Ich sage nicht, dass man sie kürzt aber wir müssen uns einfach Gedanken machen: Wer ist da der richtige Ansprechpartner - und beispielsweise NGOs stärker unterstützen. 

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR