Eine Debatte zu ihrem Schwerpunktthema "Europa in Solidarität - Evangelische Impulse" stand am Montag auf der Tagesordnung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Magdeburg. Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), vertrat dabei die Auffassung, das Christentum sei nicht mehr "etwas Bindendes oder Verbindendes in Europa". Es gebe keinen Grundkonsens mehr in der Frage, was ihm die christliche Tradition auferlege.
Papstworte verhallen
"Wir erleben Staats- und Regierungschefs, die unter Bezugnahme auf das Christentum die Abschottung praktizieren", erläuterte Roth: "Ich habe im Blick auf eines unserer größten Nachbarländer nicht den Eindruck, dass das, was der Papst sagt, auf Widerhall stößt." Wenn Länder wie Ungarn keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssten Staaten vorangehen und zeigen, dass europäische Lösungen gewollt sind.
Aus Sicht Roths sind "Desinteresse" und "Ignoranz" die größten Schwierigkeiten Europas. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg drohten "konkrete Rückschritte". In vielen europäischen Ländern liege die Jugendarbeitslosigkeit bei 25 bis 50 Prozent. "Dass die Revolution in Spanien und Griechenland noch nicht ausgebrochen ist, liegt darin, dass es die Familien gibt, die ihre jungen Menschen weiter unterstützen."
Schwedische Erzbischöfin verurteilt Hetzte
Die schwedische Erzbischöfin Antje Jackelen berichtete, auch in Schweden werde ein politischer Kampf mit religiösen Vorzeichen geführt, wenn aus Angst vor einer Islamisierung gegen Flüchtlinge gehetzt werde. Zudem erlebe sie eine Krise des Journalismus. "Traditionelle Medien sind in Schweden sehr im Rückgang", sagte Jackelen. Immer mehr Journalisten seien als Freelancer davon abhängig, Geschichten zu platzieren, die der Polarisierung dienten.
Der Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taize, Frere Alois, hob hervor, dass sich in seiner Gemeinschaft kroatische und serbische Jugendliche auch auf dem Höhepunkt des Balkankonflikts getroffen hätten. "Der politische Gebrauch des Christentums hängt mit einem falschen Verständnis des Christentums zusammen", sagte der Prior. "Wir schaffen es zu wenig, dass Menschen den Kern des Evangeliums begreifen."
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, die Mitglied der Synode ist, warnte davor, Fehler zu wiederholen und die Integration der Flüchtlinge nur Italien und Griechenland zu überlassen. Nötig sei eine gemeinsame europäische Lösung.
Verantwortung stellen
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) fordert deshalb Kirchen und Staaten in Europa auf, sich ihrer Verantwortung für die Flüchtlinge zu stellen. Die Aufnahme von Flüchtlingen und das Gastrecht für Fremde gehörten "zum Kernbestand des christlichen Glaubens", auf dem auch die Werte der Europäischen Union wie Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit beruhten, heißt es im Entwurf zu einer Kundgebung der EKD-Synode zum Thema "Europa in Solidarität". Dabei müsse die Behandlung von Flüchtlingen "auch als Gerechtigkeitsfrage" verstanden werden.
Zu den konkreten Forderungen gehört, die Verantwortung "nicht dauerhaft an Drittländer wie die Türkei" zu delegieren, sichere und legale Fluchtwege zu schaffen und Familiennachzug zu gewähren.
Anknüpfend an die biblische Geschichte vom Barmherzigen Samariter fordert die EKD dem Entwurf zufolge Barmherzigkeit, Gerechtigkeit und Nächstenliebe als Grundlage für Europa. Nötig sei, dass die Kirchen und "alle Menschen guten Willens" über Europas Zukunft in den Dialog träten.
Ökumene als Lackmustest
Die Rolle der Kirchen sei dabei, "in ökumenischer Verbundenheit für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung einzutreten". Dabei werde "die Ökumene zum Lackmustest, dass Europa gelingen kann und muss", sagte Matthias Rogg, Vorsitzender des Vorbereitungsausschusses für die Erklärung zum Schwerpunktthema der diesjährigen Synodentagung, die zum Abschluss der Beratungen am Mittwoch verabschiedet werden soll.
Neben einem klaren Bekenntnis zur EU enthalten die knapp sechs Seiten auch eine kritische Bestandsaufnahme. In der EU habe der Umgang mit Schutzsuchenden "politische und institutionelle Schwächen" der Gemeinschaft "offen zutage treten" lassen. Der Entwurf benennt für die aktuelle Lage der Flüchtlinge viele Gründe: Sie sei eine "Krise verfehlten Handelns in Wirtschaft und Politik, des Versagens von Regierungen", gewaltsam ausgetragenen Konflikten, ethnischen und religiösen Bevölkerungsgruppen, Klimaveränderungen, Krieg und Völkermord.
Auch in der Kirche Dialog nötig
Auch in der Kirche selbst ist laut dem Kundgebungsentwurf Dialog nötig. Die Kirche wisse, dass auch in den eigenen Gemeinden Vorurteile und Menschenfeindlichkeit "verbreitet sind". Gegenüber "populistischer Angstmache und rechter Hetze" beziehe die Kirche "klar Position". Sie sei aber auch bereit, mit Menschen zu reden, die die europäische Integration ablehnten, Angst hätten oder mutlos seien. Die Kirchen "überlassen den Rechten und Populisten nicht die Köpfe und Herzen derer, die aus Verunsicherung nach einfachen Antworten suchen".