Erzbischof Heße übernimmt Schirmherrschaft für "Büchertürme"

Kinder wollen Hamburger Mariendom "erlesen"

Die schlechten Noten der Pisa-Studie brachten Ursel Scheffler auf die Idee zu den "Büchertürmen". Schüler lesen Bücher, die gestapelt bis zur Minarettspitze der Blauen Moschee reichen - oder zur Spitze des Mariendoms.

Autor/in:
Frank Berno Timm
Erzbischof Heße übernimmt Schirmherrschaft für Kinderleseprojekt / © Markus Scholz (dpa)
Erzbischof Heße übernimmt Schirmherrschaft für Kinderleseprojekt / © Markus Scholz ( dpa )

Max ist acht Jahre alt und geht in die katholische Schule an der Hamburger Hochallee. Jeden Tag lese er fünf Seiten in einem Buch - gerade die Geschichte "Eine Macke kommt selten allein", erzählt er. Zusammen mit rund 80 Dritt- und Viertklässlern besucht er an diesem Donnerstagmorgen die Blaue Moschee an der Alster. Auch Lehrerin Barbara Fuhlenbrok ist mit ihren Schülern gekommen: In ihrer Schule an der Seebek gebe es ein richtiges Leseparadies, erzählt sie.

Übergabe der Schirmherrschaft

Dort könnten die Kinder Bücher ausleihen, was sie auch eifrig täten. Jelid ist auch in ihrer Gruppe: Er lese "noch nicht so richtig", würde aber gern und mache es am liebsten mit dem Vater, sagt der Junge. Die Kinder sind zu einem "offiziellen Akt" in die Moschee gekommen. Ihr Hausherr, Ayatollah Reza Ramezani, übergibt die Schirmherrschaft über das Projekt "Büchertürme" an Hamburgs Erzbischof Stefan Heße.

Nach den Minaretten der Blauen Moschee ist nun das nächste Ziel, bis kommenden Juni die je 61 Meter hohen Zwillingstürme des katholischen Mariendoms zu "erlesen": Das heißt, die Kinder wollen rund 12.200 Bücher lesen, die aufeinandergestapelt insgesamt 122 Höhenmeter ergeben würden.

Auslöser Ergebnisse der Pisa-Studie

Erfinderin des Projekts ist die Kinderbuchautorin Ursel Scheffler. Sie will Kinder zum Lesen bringen. Auslöser war, dass Hamburg bei der Pisa-Studie in Sachen Lesekompetenz schlechter abschnitt als Shanghai, erzählt sie. "Ich bin ganz glücklich", fügt sie hinzu. Sie habe am Vortag die Zusage bekommen, dass die gerade fertiggestellte Elbphilharmonie das übernächste Leseobjekt sein werde. Die misst 110 Meter.

Doch bevor der alte und der neue Schirmherr Grußworte tauschen, entführt Scheffler die Kinder ins Reich der Fantasie. Sie sollten die Augen zumachen, wenn sie nun die Parabel "Nathan der Weise" erzähle.

Die Kinder erfahren, dass der bedeutende Hamburger Dichter Gotthold Ephraim Lessing sie 1779 zu einem Theaterstück gemacht hat, und sie hören die berühmte Szene im Palast des Jerusalemer Sultans Saladin, der die Kreuzritter besiegt hat und wenig glücklich mit Lieblingsfrau Halima beim Schachspiel sitzt: Der Machthaber ist pleite. Und schnell ist die Erzählerin bei der Kernbotschaft dieses Vormittags: Christen und Muslime vereine mehr als sie trenne, lässt sie die ursprünglich christliche Sultansfrau sagen. Nächstenliebe sei der Weg zum Miteinander.

Hausherr Ramezani fügt hinzu: "Wo immer wir Menschen Weisheit und Wissen haben, gibt es keinen Krieg". Der Wert eines Menschen sei davon abhängig, wieviel er wisse: "Versucht, Eure Freunde danach auszusuchen, wer Weises spricht." Es sei wichtig, gemeinsam zu lernen. "Bücher sind dafür eine gute Möglichkeit." Und der islamische Geistliche ergreift einen aufgeklappten Schirm mit den Symbolen der Leseaktion und überreicht ihn dem Erzbischof.

Erzbischof war fleißiger Leser

Heße verrät, er habe manchmal als Junge mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen - wenn die Mutter schimpfte, sei sein Argument gewesen, dass ihm die Lehrerin ins Zeugnis geschrieben habe "Stefan muss noch fleißig lesen". Heute kann sich der Erzbischof nicht vorstellen, nicht zu lesen - er tut es jeden Tag. "Bitte lest ruhig mal ein anständiges, ein gutes Buch! Nehmt Euch Zeit, vor allem die Ruhe!" Er werde sich an der Leseaktion beteiligen: "Wenn wir lesen, trägt das dazu bei, dass wir respektvoll miteinander umgehen."

Die Kinder sind heute nicht das erste Mal in der Moschee. Für sie ist im Anschluss an den Festakt noch ein Programm vorbereitet. Im nächsten Jahr, kündigt der Leiter der Dialogabteilung, Mohammad Ale Hosseini an, werde es einen Kids Day in der Moschee geben.

Christoph Schommer vom Katholischen Schulverband Hamburg erklärt am Rande der Veranstaltung, dass sich alle 17 katholischen Grundschulen an der Aktion beteiligen. Kinder können ihre gelesenen Bücher in eine Leseliste eintragen - alle Bücher sollen dann, aufeinandergestapelt, so hoch wie beiden Türme des Mariendoms sein. Erreicht werden soll das Ziel bis 8. Juni kommenden Jahres. Vorausgegangen waren Aktionen mit Hamburgs evangelischen Hauptkirchen und dem Rathaus.


Quelle:
KNA