Die Linienmaschinen donnern über die Storchennester in der Calle Arquitecte Gaudi. Der 23.000-Einwohner-Ort Mejorada del Campo liegt 20 Kilometer östlich vom Stadtzentrum Madrids, in der Einflugschneise zum Flughafen Barajas. Es ist nicht klar, ob die Stadtverwaltung die eher schäbige Straße nach dem Architekten und Sonderling Antoni Gaudi (1852-1926) benannt hat, um ihren Bewohner Justo Gallego Martinez zu verspotten - oder um ihn zu ehren. Denn auch Don Justo ist Architekt und Sonderling - und er hat eine noch skurrilere Mission als der Katalane mit seiner "Sagrada Familia" in Barcelona.
Unvollendetes Werk?
Seit 55 Jahren baut Justo Gallego an seiner persönlichen Basilika. 91 ist er darüber geworden im September. Und wer den drahtigen Mann mit dem entschlossenen Blick so schaffen sieht in seinem riesigen Gotteshaus, ist nicht überzeugt, dass er in den kommenden neun Jahren damit aufhören müsste. Und doch: Obwohl inzwischen die Kuppel von 38 Meter Höhe errichtet ist, die Mauern des Kreuzgangs geschlossen und die zwölf Türme schon das Kirchenschiff überragen, muss Don Justo ahnen, dass er sein Werk nicht mehr wird vollenden können.
Kein einziges Hinweisschild stellen die Stadtväter für die größte Attraktion des staubigen Nests, das von den Hochhäusern und Gewerbegebieten der Hauptstadt verschlungen zu werden droht. Die Website der Kommune präsentiert lieber das Freibad, die Eisenbahnbrücke und das biedere 1980er-Jahre-Einkaufszentrum als Attraktionen. Aber auch so ist sie unübersehbar, die merkwürdige "Kathedrale von Don Justo". Die Menschen von Mejorada halten ihren Mitbürger für einen alten Spinner - oder sie helfen ihm. Oder beides.
Der Baumeister spricht nicht gern. "Werfen Sie etwas in die Box", schnauzt er Besucher an, wenn sie auf ihn zusteuern und ihn bei seiner Arbeit unterbrechen könnten. Reden - die Leute wollten immer reden. Dabei sage er, was er zu sagen habe, mit dem, was er entwerfe, male und baue, so wiederholt Don Justo schon seit Jahrzehnten.
Gelübde seines Lebens
Am 20. September 1925 als Bauernsohn in Mejorada del Campo geboren, wollte er schon früh Mönch werden. Tatsächlich trat er bei den Trappisten ein und legte die zeitlichen Gelübde ab. Doch dann kam die Tuberkulose - und dann das Gelübde seines Lebens. Der Virgen del Pilar (Maria auf dem Pfeiler) versprach er, er werde eine Kirche errichten, sollte er geheilt werden.
Und tatsächlich: Statt nach seiner Genesung einen weiteren Anlauf für das Klosterleben zu nehmen, ging Justo nach Hause und fing im Oktober 1961 mit heiligem Ernst zu bauen an. Ohne Baupläne und Ausbildung, frei Schnauze, auf einem Grundstück seines Vaters. 36 war er da - und er hat seitdem nie mehr aufgehört.
"Der Weg macht sich durch Gehen"; das ist so einer seiner Sätze. Von Morgens sechs bis abends sechs ist er in seiner Kathedrale, außer sonntags. Wobei: Der Begriff "Kathedrale" ist etwas schräg für das, was Justo Gallego vorschwebt. Denn ein Bischofssitz ("cathedra") wird seine bizarre Basilika wohl nie werden.
Auf Spenden angewiesen
Seit Justo sein Erbe verbaut hat, ist er allein auf Spenden angewiesen. Die Steine erhält er als Ausschuss aus einer nahen Ziegelei; aufgefüllte Regenrinnen werden zu Treppenstufen, Ölfässer und Plastikkanister zur Gussform für Säulen oder Randsteine aus Beton. Selbst Bandenwerbungen aus dem Bernabeu-Stadion von Real Madrid kann er als Unterlage oder Stützmaterial gebrauchen.
Ein Gang durch die zwei Stockwerke der 50 Meter langen Kirche und durch die monumentalen Anbauten von Taufkapelle und Kreuzgang offenbart den vollen Irrsinn, den dieser "Narr Gottes" auf sich genommen hat. Alle Bauteile, alle Fenster - die tatsächlich aus Coulouraplast, farbigem Schmelzgranulat, gelegten Mosaikbildern sind -, alle fantasievollen Konstruktionen stammen direkt aus dem Kopf und den Händen von Don Justo. Dort - und nur dort - sind die Pläne gespeichert.
Man trifft auf Zementsäcke, auf einen Schreibtisch mit Schablonen und Papstfotos als Vorlagen für neuen Wandschmuck. Überall krabbelt es von Kitsch und Kreativität. Völlig allein ist Justo mit alledem am Ende nicht. Immer wieder kommen Helfer auf Zeit: Studenten in den Semesterferien, Schüler, Mitbürger legen Hand an. Begeisterte aus dem In- und Ausland werben Spenden ein. Selbst das New Yorker Museum of Modern Art widmete ihm eine Ausstellung.
"Narr Gottes"
Sein wichtigster Helfer, seine rechte Hand, ist Angel Lopez, dem die Kathedrale von Don Justo seit einem Vierteljahrhundert am Herzen liegt. Früher hat Justos ältere Schwester ihn mit Mahlzeiten versorgt; diesen Part hat Angel übernommen. Auf ihm ruhen Justos Hoffnungen, was die Vollendung seines Lebenswerks angeht. Und wohl auch in einer Sache, die vielleicht nie wirklich thematisiert wurde: Wie werden sich die Behörden verhalten, wenn der "Narr Gottes" mal nicht mehr da ist?
Eine reguläre Bauabnahme dürfte nach Jahrzehnten totaler Improvisation nicht möglich sein. Schon das Begehen der Treppen fordert selbst von Gesunden Behutsamkeit und Geschick. Werden einst also eher Pilger oder Bagger anrücken? Der fromme Mönch Don Justo Gallego will - so oder so - in seinem Lebenswerk begraben werden.