Vor 20 Jahren endete in Guatemala ein Völkermord

Damals, als die Dörfer brannten

"Den Freunden alles, den Feinden das Gesetz." Der Leitsatz lateinamerikanischer Politik aus der Zeit der Diktaturen wirkt bis heute nach. In Guatemala wurde endete vor 20 Jahren ein Schlachten. Die Traumata sind noch da.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Knochen von Opfern, die bei einem Massaker während des Bürgerkriegs in Guatemala getötet wurden / © Katharina Ebel (KNA)
Knochen von Opfern, die bei einem Massaker während des Bürgerkriegs in Guatemala getötet wurden / © Katharina Ebel ( KNA )

Der Bürgerkrieg in Guatemala zählt zu den brutalsten Konflikten in der Geschichte Lateinamerikas. Er dauerte 36 Jahre und endete am 29. Dezember 1996 mit dem Abschluss eines Friedensvertrags zwischen rechtsgerichteter Regierung und Rebellenvereinigung URNG. In dieser Zeit wurden Schätzungen zufolge mehr als 200.000 Menschen getötet, 83 Prozent davon Angehörige der indigenen Maya-Bevölkerung. Geschätzt 1,7 Millionen Menschen flohen.

Die meisten Opfer starben in den Jahren der "violencia", der schlimmsten Gewalt (1978-1985). Nachts rückte die Armee aus den Kasernen aus oder entsandte Zivilpatrouillen (PAC), um offene Rechnungen zu begleichen. Offiziell lautete die Mission, Unterstützung und Nachschub für die Guerilla abzuschneiden.

Systematische Vernichtung

Tatsächlich war das Ziel eine systematische Vernichtung der indigenen Bevölkerung durch die sogenannten Ladinos, die Machthaber im Land. Ein Völkermord.

Die nächtlichen Invasoren wurden oft zu Bestien. Sie vergewaltigten, enthaupteten, verbrannten oder verstümmelten ihre Opfer bei lebendigem Leib, nicht selten vor den Augen der Angehörigen. Einige Massengräber sind bis heute nicht ausgehoben. Soldaten durchkämmten immer und immer wieder die Dörfer, ermordeten Männer, Frauen und Kinder und legten Feuer an ihre Häuser und Ernten. Wer nichts mehr hat, kann nichts der Guerilla geben.

Weihbischof sammelte Augenzeugenberichte

Bei den zwangsrekrutierten Zivilpatrouillen (PAC) gab es jene, die sich zurückhielten und die Nachbarn wo immer möglich schonten. Und jene, die ihre vermeintliche Macht genossen. Vielfach ist es dieser zweite Typ, der noch heute an den Schalthebeln der Dörfer sitzt und eine Aufarbeitung oder gar Wiedergutmachung der Gräuel von damals verhindert. "Den Freunden alles, den Feinden das Gesetz" - der alte Leitsatz lateinamerikanischer Politik aus der Zeit der Diktaturen wirkt immer noch nach.

Durch Berichte und Schicksale von Augenzeugen bekommt der blutige Bürgerkrieg eine nur schwer erträgliche Anschaulichkeit: wo wie in der besonders gebeutelten Provinz Quiche buchstäblich Köpfe rollten; wo Familien in die Wälder flüchteten, während ihr Haus und ihre Felder angezündet wurden. Einer, der solche Fälle sammelte und aufschrieb, musste mit seinem Leben bezahlen: Weihbischof Juan Gerardi Conedera in der Hauptstadt Guatemala-Stadt.

Die Mörder hatten auf ihn gewartet. Als der Bischof spät abends in die Garage seines Pfarrhauses einfuhr und ausstieg, schlugen sie mit einem schweren Stein auf ihn ein, immer wieder - bis man ihn später nur noch an seinem Bischofsring identifizieren konnte. Am 26. April 1998 starb Gerardi in seinem eigenen Blut - als Märtyrer der Menschenrechte. Bis heute ist der Mord nicht endgültig aufgeklärt.

Bischof dokumentierte mehr als 200.000 Menschenrechtsverbrechen 

Nur zwei Tage zuvor hatte der Bischof in der Kathedrale der Hauptstadt seine berühmt gewordene Dokumentation "Nie wieder" ("Nunca mas") der Öffentlichkeit übergeben. In diesem Bericht zur "Wiedererlangung der historischen Gedächtnisses" (REMHI) wurden 50.000 der mehr als 200.000 Menschenrechtsverbrechen aus dem Bürgerkrieg dokumentiert. Gerardi benannte Ross und Reiter - und unterschrieb damit sein eigenes Todesurteil.

Aus dem REMHI-Bericht geht hervor, dass mehr als 90 Prozent der Morde auf Armee, Paramilitärs und Zivilpatrouillen zurückgehen. Für etwa neun Prozent zeichnete demnach die Guerilla verantwortlich. Allein für die Hochland-Provinz Quiche führt der Bericht für die Zeit des Bürgerkriegs 31.400 Verhaftungen, 13.728 Tote, 2.157 "Verschwundene", 3.207 Fälle von Folter und 4.039 Attentate auf. Auf Entschädigung warten die meisten Opfer bis heute.

Hintermänner oft nicht verurteilt

Für den schmutzigen Bischofsmord kamen nur jene ins Gefängnis, die ihn ausführten. Die Militärs Byron Disrael Lima Estrada (entlassen 2012), sein Sohn Byron Lima Oliva (im Juli 2016 im Gefängnis ermordet) und Jose Obdulio Villanueva (2003 im Gefängnis ermordet) wurden zu je 30, der Priester Mario Orantes, der sich mit Gerardi die Arbeit in seiner Pfarrei San Sebastian geteilt hatte, zu 20 Jahren Haft verurteilt. Die Verfolgung der Hintermänner schleppt sich lähmend langsam hin in einem Land, das auch nach Ende des Bürgerkriegs weiter von Gewalt geprägt ist.

Guatemalas Bürgerkrieg (1960-1996)

Der Bürgerkrieg in Guatemala zählt zu den brutalsten Konflikten in der Geschichte Lateinamerikas. Er dauerte 36 Jahre und endete am 29. Dezember 1996 mit dem Abschluss eines Friedensvertrags zwischen rechtsgerichteter Regierung und Rebellenvereinigung URNG. In dieser Zeit wurden Schätzungen zufolge mindestens 200.000 Menschen getötet, 83 Prozent davon Angehörige der indigenen Maya-Bevölkerung. Geschätzt 1,7 Millionen Menschen flohen vor Gewalt und Unterdrückung.

Eine Mitarbeiterin des Nationalen Polizeiarchivs in Guatemala-Stadt archiviert historische Akten des Bürgerkriegs / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Eine Mitarbeiterin des Nationalen Polizeiarchivs in Guatemala-Stadt archiviert historische Akten des Bürgerkriegs / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
KNA