In den USA erhoffen tausende Häftlinge Gnade von Barack Obama

Die Zeit läuft davon

​Der scheidende US-Präsident Obama hat mehr Häftlinge begnadigt oder Strafen reduziert als seine Vorgänger. Mit dem Ende seiner Amtszeit endet für viele wohl auch die Hoffnung auf ein baldiges Leben in Freiheit.

Autor/in:
Konrad Ege
US-Präsident Obama  (dpa)
US-Präsident Obama / ( dpa )

Tausende Häftlinge bangen und hoffen bis zu Barack Obamas letztem Amtstag am 20. Januar: Bis dahin entscheidet der Noch-Präsident über Gnadengesuche und Anträge auf Strafmilderung. Bittsteller sind prominente Insassen wie die Whistleblowerin Chelsea Manning oder der Indianeraktivist Leonard Peltier. Doch die meisten sind "normale" Häftlinge mit hohen Strafen. Der erwartete Bescheid von Obama wird Grund zur unbändigen Freude sein oder zur Verzweiflung.

Laut US-Verfassung hat der Präsident umfassendes Recht, im bundesstaatlichen Justizsystem zu begnadigen, oder - wie es öfter geschieht - Strafen zu reduzieren. Er hat 148 Mal von seinem Recht auf Begnadigung Gebrauch gemacht. 1.176 Häftlingen hat er die Strafen verkürzt - insgesamt nutzte er diese Möglichkeiten viel häufiger als seine Vorgänger.

Hilfsorganisation veröffentlichte dutzende Namen

Nach Regierungsangaben lagen jedoch bei Jahresende 2016 noch 13.568 Anträge auf Strafverkürzung und 2.154 auf Begnadigung beim "Gnadenanwalt" im Justizministerium. Die Hilfsorganisation "Can-Do: Justice through Clemency" ("Es geht: Gerechtigkeit durch Milde") hat die Namen von dutzenden Gnadenkandidaten publiziert.

Weit oben stehen der 82-jährige Antonio Bascaro, der seit 36 Jahren wegen Marihuana-Schmuggels einsitze, sowie William Underwood (63). Dieser verbüße seit 1988 eine lebenslange Strafe wegen Drogenhandels. Die Gesellschaft gewinne nichts von fortgesetzter Inhaftierung, heißt es.

Besuch im Gefängnis

Das Thema Strafvollzug liegt Obama anscheinend am Herzen. Im Juli 2015 hatte er als erster amtierender Präsident ein Gefängnis besucht. Man müsse die Praxis überdenken, Angeklagte für Straftaten ohne Gewalt zu "zwanzig, dreißig Jahren und zu lebenslänglich zu verurteilen", sagte der Präsident in der Vollzugsanstalt in El Reno in Oklahoma.

Obamas Milde kommt besonders Inhaftierten mit extremen Strafen aus dem "Krieg gegen Drogen" in den 80er und 90er Jahren zu Gute. Der Präsident prüfe bei jeder Entscheidung, ob Antragsteller "gezeigt haben, dass sie bereit sind, eine zweite Chance zu nutzen", sagte Obamas Rechtsberater Neil Eggleston.

Juraprofessorin: Gnadenbüro darf nicht Justizministerium unterstehen

Kurz vor Weihnachten 2016 bekam die 48-jährige Cheryl Howard aus Florida die gute Nachricht. Die wegen Drogenhandels 1994 zu einer lebenslangen Haftstrafe Verurteilte kommt nun im Dezember 2018 frei. Die Strafreduzierung sei großartig, freute sich Howards Tochter Lavithia in einer Fernsehsendung. Die Familie habe angenommen, dass Cheryl "einmal im Gefängnis stirbt".

Die Juraprofessorin Rachel Barkow von der New York University kritisierte jedoch im Online-Magazine propublica.org, das Justizministerium sei nicht der richtige Platz für das Gnadenbüro. Der Behörde unterstehen nämlich auch die Staatsanwälte, die die Bittsteller in den Knast gebracht haben. Rund 200.000 Häftlinge sitzen gegenwärtig in den bundesstaatlichen Haftanstalten. Obama hat 14.485 Anträge auf Haftreduzierung abgelehnt.

Amnesty meldet Zweifel an

Amnesty International und Menschenrechtsverbände forderten Obama auf, den 1977 wegen Mordes an zwei FBI-Agenten zu zwei Mal lebenslanger Haft verurteilten Indianeraktivisten Leonard Peltier zu begnadigen. Amnesty habe Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Urteils und bitte nach 40 Jahren Haft um Entlassung aus humanitären Gründen.

Selbst der für Peltiers Verfahren zuständige pensionierte Staatsanwalt James Reynolds hat sich vergangenen Monat für eine Entlassung ausgesprochen, "im Interesse der Gerechtigkeit und unter Berücksichtigung aller Fakten". Eine von früheren FBI-Agenten betriebene Webseite jedoch lehnt Gnade ab.

Fall Chelsea Manning

Auch Chelsea Manning beschäftigt viele Menschenrechtler. Die früher als Bradley Manning lebende Ex-Soldatin solle freigelassen werden, verlangten der Bürgerrechtsverband ACLU und mehrere LGBT-Organisationen. Wegen der Weitergabe geheimer Dokumente an die Plattform Wikileaks wurde Manning 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt.

Mehr als 100.000 Menschen haben die Petition für Manning unterzeichnet. Neil Eggleston erklärte Ende Dezember, er erwarte, "dass der Präsident vor Ende seiner Amtszeit noch mehr Verkürzungen und Begnadigungen aussprechen wird". Obamas Pressesprecher Josh Earnest betonte jedoch im Rundfunksender NPR, Obama werde "keine Gnadengesuche durchdrücken in den letzten Minuten". Es existiere ein Verfahren, und Obama werde dem auch folgen.

Im Kabinett Donald Trump soll Senator Jeff Sessions Justizminister werden. Dieser hat Obamas Strafreduzierungen als "alarmierenden Machtmissbrauch" verurteilt. Die Gründerväter hätten sich das Begnadigungsrecht nicht so vorgestellt, sagte Sessions 2014 im Senat. Viele Drogentäter hätten schweren Schaden angerichtet, und Eltern wollten keine neuen Drogendealer "in der Nähe der Schulen ihrer Kinder".


Quelle:
epd