Journalist zur Kanzlerkandidatur von Martin Schulz

Christliche Werte und Absage an Populismus

Nun also Martin Schulz und nicht Sigmar Gabriel: die Kanzlerkandidatur der SPD ist beschlossene Sache. Gespannt dürfe man darauf sein, wie Katholik Schulz den Wahlkampf aufbaut, blickt Berlin Korrespondent Dominik Rzepka in die nahe Zukunft.

Martin Schulz / © Maurizio Gambarini (dpa)
Martin Schulz / © Maurizio Gambarini ( dpa )

domradio.de: Wie fanden es denn die SPD-Genossen, dass sie die Kanzlerkandidatur aus den Medien erfahren mussten?

Dominik Rzepka (Journalist und Berlin-Korrespondent): Das war schon bemerkenswert festzustellen, wie wenig das abgesprochen war und wie wenig auch die Sozialdemokraten selber wussten, dass die ganze Geschichte in den Medien veröffentlicht wird. Auslöser waren Interviews, die Sigmar Gabriel dem "Stern" gegeben hat, die "Zeit" wusste auch Bescheid. Also er gab zwei vor längerer Zeit vorbereitete Interviews, obwohl er erst am kommenden Sonntag alles verkünden wollte und immer wieder auf diesen Zeitplan hingewiesen hat. Da sagen sogar Sozialdemokraten, das sei nicht das beste Timing und auch nicht die beste Inszenierung gewesen. Die waren schon überrascht. Ihnen hat auch ein kleines bisschen das Wording gefehlt. Das war eigentlich ein Scheitern mit Ansage. Das hätte man besser machen können.

domradio.de: Jetzt bleibt die Frage, in welcher Konstellation Martin Schulz am Ende Kanzler werden möchte. Mit Rot-Rot-Grün, vielleicht auch wieder mit einer Großen Koalition, oder welche Machtoptionen hat er überhaupt?

Rzepka: Er hat, glaube ich, keine eindeutige Machtoption in Richtung Rot-Rot-Grün, denn die Opposition reagiert ziemlich verhalten. Es ist schon bemerkenswert, dass beispielsweise Katrin Göring-Eckardt von den Grünen sagt, man wisse nicht genau, wofür Martin Schulz innenpolitisch eigentlich steht und mit welchem Kurs die SPD jetzt antreten möchte. Dies von einem potentiellen Koalitionspartner zu hören, ist schon bemerkenswert. Auch bei der Linkspartei sieht es ähnlich aus. Sahra Wagenknecht sagt im Prinzip auch, dass Martin Schulz kein Signal für eine sozialdemokratischere, für eine linkere Politik sei. Das heißt schon, dass das Ganze nicht so richtig abgesprochen ist und strategisch, was die Partnerwahl angeht, unglücklich aussieht. Das heißt im Klartext aber auch, dass die SPD stärker werden will. Sigmar Gabriel hat das noch einmal deutlich gesagt: Martin Schulz ist derjenige, der die besten Chancen hat. Er selber habe, so gesehen, nicht liefern können. Mit einer starken SPD, so offenbar die Strategie, könne man dann schauen, ob es vielleicht für eine Ampelkoalition oder andere Bündnisse reicht.

domradio.de: Jetzt ist Martin Schulz ein gläubiger Katholik, hat enge Beziehungen zur katholischen Kirche. Welche Bedeutung spielt die Kirche in seinem Leben?

Rzepka: Die Kirche selber hat vielleicht nicht die allergrößte Bedeutung nach dem Motto ein gläubiger Kirchgänger zu sein. Aber bemerkenswert fand ich schon die Art und Weise, wie Martin Schulz gestern an der Seite von Sigmar Gabriel ein Statement für durchaus christliche Werte gesetzt hat. Er hat gesagt, mit ihm werde es kein "Europa-Bashing" geben, mit ihm werde es eine klare Absage an die Populisten geben und werde es auch keine verbale Prügel gegen Minderheiten geben. Dahinter steht - das hat er oft genug in Interviews gesagt - seine Überzeugung von christlichen Werten. Als beispielsweise Papst Franziskus vor anderthalb Jahren im EU-Parlament war, hat er sich tief bewegt gezeigt und gesagt, dass dieser Mann für Werte steht und wichtige Botschaften in stürmischen Zeiten sendet. Das ist vielleicht kein sofortiges, katholisches Bekenntnis, aber was die Werte angeht, liegt er auf dieser Welle. Mit denen möchte er wohl auch Wahlkampf machen.

domradio.de: Sigmar Gabriel will nun Außenminister werden und den Parteivorsitz abgeben. Ist das ein geordneter Rückzug, so wie ihn auch FDP-Chef Christian Lindner gestern bezeichnet hat?

Rzepka: Ich glaube, eher das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, dass Sigmar Gabriel wahrgenommen hat, dass er diese Wahl nicht gewinnen kann. Er hat gemerkt, dass seine Umfragewerte nicht besser geworden sind. So ähnlich muss er sich auch in der SPD-Fraktion geäußert haben. Diese Äußerungen sind vor dem Hintergrund geschehen, dass er für sich konstatiert hat, schon viel gemacht zu haben und auch einiges, wie die Einführung des Mindestlohns oder die Rettung von Kaisers-Tengelmann erreicht zu haben. Das sind Punkte, die er auf der Habenseite verbucht. Trotzdem merkt er, dass er persönlich kein Land unter die Füße bekommt. Er schafft es nicht, in den Umfragen zu punkten. Dann zu sagen, Außenminister werden zu wollen und möglicherweise auch in einer weiteren Konstellation nach der Bundestagswahl wieder einen Posten zu bekleiden, halte ich strategisch für relativ clever. Jemand anderem die Kanzlerkandidatur zu überlassen, obwohl er das schon selber ganz gerne geworden wäre - inklusive SPD-Vorsitz - ist strategisch gut und hätte man so nicht unbedingt erwartet. Das hat er hinbekommen.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR