SPD-Chef Gabriel gibt für den Verzicht auch familiäre Gründe an

Kein Tabu mehr

Seine Umfragewerte seien nicht gut, ein Rücktritt sei damit folgerichtig, so der Noch-SPD Vorsitzende Gabriel. Für seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur gibt er aber auch familiäre Gründe an. Damit liegt er im Trend.

Autor/in:
Birgit Wilke
Familie steht an erster Stelle? Sigmar Gabriel und Frau Anke / © Swen Pförtner (dpa)
Familie steht an erster Stelle? Sigmar Gabriel und Frau Anke / © Swen Pförtner ( dpa )

Statt sich zum SPD-Kanzlerkandidaten küren zu lassen - wie es viele politische Beobachter in Berlin erwartet hatten -, trat der SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel den Rückzug an. Seine Begründung, dass bei seiner Entscheidung auch seine familiäre Situation eine Rolle gespielt habe, ist für einen Mann in seiner Position ungewöhnlich. Noch.

Es sei einfach traurig, "wenn man nie da ist, wenn etwas passiert", meint Gabriel im Interview des Magazins "Stern". "Die ersten Schritte, die ersten Worte, das Schwimmenlernen oder den Kindergeburtstag zu Hause - das alles findet in der Regel ohne mich statt." Gabriel hat eine erwachsene Tochter, mit seiner jetzigen Ehefrau hat er die inzwischen vierjährige Marie. Vor wenigen Wochen teilte der 57-Jährige mit, dass er erneut Vater wird.

Familie an erster Stelle

Es ist nicht das erst Mal, dass Gabriel betont, wie wichtig ihm die Familie ist. Schon kurz nach Amtsantritt verkündete er, der selbst eine schwierige Kindheit und Jugend hatte, dass er am Mittwochnachmittag selbst seine kleine Tochter von der Kita abholen will. Bekannt ist, dass Gabriel nicht nur diesen Nachmittag nutzte. Sein Dienstagwagen steuerte am Abend oft den Weg von Berlin nach Goslar an, wo Gabriel mit seiner Familie lebt.

Was für Frauen in Spitzenposition das Aus bedeuten kann, wird bei Männern oft positiv gewertet und führt eher zu einer Steigerung der Beliebtheit: Das Benennen der Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf - und mögliche Konsequenzen. In jüngster Zeit gibt es dafür auch andere prominente Beispiele: So gab Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg als Begründung für seinen Rücktritt an, dass er mehr Zeit mit seiner Familie verbringen möchte. Schauspieler Ryan Gosling bedankte sich in seiner "Golden Globe"-Dankrede ausdrücklich bei seiner Frau, der Schauspielerin Eva Mendes: Sie habe ihm zuliebe beruflich zurückgesteckt, um sich um die Familie zu kümmern.

Studie: Männer wollen gleichberechtigt Beruf und Familie

Eine in dieser Woche vorgestellte Studie des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) bestätigt den Trend: Danach ist der Wunsch bei Männern nach einer gleichberechtigten Aufteilung von Beruf und Familie sogar größer als bei den befragten Frauen. Während dies laut Studie 35 Prozent der Mütter besser finden, sind es bei den Vätern 42 Prozent. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig bezeichnet die "neuen Männer" sogar als eigentlicher "Motor des Wandels", wenn es um die Vereinbarkeit geht.

Wenn dabei Männer in Spitzenpositionen vorangehen, hilft das in der Regel auch den "Normal"-Berufstätigen - etwa wenn sie einen Antrag für mehr als zwei Monate Elternzeit stellen wollen. Wie die Untersuchung zeigt, schrecken viele Männer nach wie vor davor zurück, weil sie fürchten, dadurch ins berufliche Abseits zu geraten. Von den Befragten, die Elternzeit genommen haben, berichten danach allerdings rund 90 Prozent, das sie keine negativen Auswirkungen gehabt hätten.

"Man muss achtsam mit der Zeit umgehen."

Gabriel bekennt sich in dem Interview zudem zu etwas, was sonst eher Frauen zugeschrieben wird, dem schlechten Gewissen bei der Gratwanderung zwischen Job und Familie, das ihn plage, "zumal meine erwachsene Tochter mich auch häufiger brauchen würde".

Und der SPD-Politiker, der bereits am Freitag als Außenminister vereidigt werden soll und dann für die nächsten Monate sicher eher noch seltener zu Hause ist, gibt zum Schluss noch eine Lebensweisheit zum Besten: Er habe in den vergangenen Jahren viel über die Begrenztheit des Lebens nachgedacht. Wenn seine kleine Tochter 20 sei, sei er, so der Protestant - "so Gott will" - über 70. "Man muss achtsam mit der Zeit umgehen."


Quelle:
KNA