Florian Schuller zu 60 Jahren Katholische Akademie in Bayern

"Wir halten unsere Nase in den Wind"

​Die Katholische Akademie in Bayern feiert ihr 60-jähriges Bestehen. Die Einrichtung steht nicht nur für den intellektuellen Disput, sondern diente auch schon als Notschlafstelle. "Ein prägendes Erlebnis", erinnert sich Direktor Florian Schuller.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Florian Schuller, Direktor der Katholischen Akademie in Bayern / © Jörg Koch (KNA)
Florian Schuller, Direktor der Katholischen Akademie in Bayern / © Jörg Koch ( KNA )

Katholische Nachrichten-Agentur: Herr Direktor Schuller, zwei Veranstaltungen Ihres Hauses sind legendär geworden: Die Sozialismus-Tagung zum Auftakt vor 60 Jahren und der Dialog von Kardinal Joseph Ratzinger mit dem "religiös unmusikalischen" Philosophen Jürgen Habermas 2004. Warum?

Florian Schuller (Direktor der Katholischen Akademie in Bayern): Der erste Mythos hält die Erinnerung wach an die Gründungsgeschichte katholischer Akademien überhaupt. Dabei ging es nach dem Zweiten Weltkrieg um ein neues Selbstverständnis der Kirche. Man suchte den Kontakt zu allen einigermaßen konstruktiven Kräften der Gesellschaft und wollte alte Hürden überwinden.

KNA: Nach dem Motto "raus aus dem Lagerdenken"?

Schuller: So in etwa. Es gab ja auch noch eine andere Idee für eine bayerische Akademie, nämlich in Eichstätt, die Laien befähigen sollte, katholische Positionen in der Gesellschaft zu vertreten. Das Modell, das letztlich der Münchner Kardinal Joseph Wendel geprägt hat, bevorzugte den Dialog zwischen Kirche und Welt auf Augenhöhe.

KNA: Und der zweite Mythos?

Schuller: In den romanischen Ländern gibt es eine lebendige Tradition, dass Exponenten des säkularen Denkens mit katholischen Intellektuellen in einen Dialog treten. Für Deutschland war das so unerhört neu, dass am nächsten Morgen das Büro von Altbundeskanzler Helmut Schmidt aus Hamburg anrief und die Texte haben wollte.

KNA: Sie pflegen nicht nur den geistigen Disput, sondern waren auch schon als Herbergsvater einer Notschlafstelle gefordert. Im Sommer 2012 kam in einer benachbarten Baugrube ein hoch explosiver Blindgänger zum Vorschein.

Schuller: Die Anwohner mussten evakuiert werden. Wir wurden kurzfristig angefragt und haben unsere Türen für 200 Leute geöffnet. Die mussten dann gleich zwei Nächte bei uns bleiben. Ich vermute, alle waren zum ersten Mal da. Für sie war es wahrscheinlich ein prägendes Erlebnis, dass man aus einem katholischen Haus auch wieder lebend herauskommen kann.

KNA: So viel Unwissen in der Umgebung?

Schuller: Es gibt Leute, die gehen jahrzehntelang an unserem Haus vorbei und sagen: Das ist so etwas Katholisches, da gehöre ich nicht hin. Manchmal werden wir mit dem Priesterseminar verwechselt. Die Standardfrage ist immer: Wen bilden Sie aus? Ich sage dann: Niemanden. Wir halten unsere Nase in den Wind, suchen Themen, die für Gesellschaft und Kirche wichtig sind, und präsentieren die allen, die kommen wollen.

KNA: Die Unfähigkeit zum sachlichen Austragen von Kontroversen scheint zuzunehmen. Wie reagieren Sie?

Schuller: Indem wir weiterhin auf die leibhaftige Begegnung von Mensch zu Mensch setzen. Wir vertrauen darauf, dass dadurch die Bereitschaft zu einem guten Austausch wächst. Auch wenn ich feststelle, dass gerade bei innerkirchlichen Streitthemen die Fronten so verhärtet sind, dass eine Diskussion kaum möglich ist.

KNA: Hat Papst Franziskus die Debattierfreude in der katholischen Kirche nicht neu belebt?

Schuller: Ich glaube, die Leute sitzen immer noch in den Schützengräben. Andererseits hat die Flüchtlingsdebatte in den letzten zwei Jahren vieles überlagert. Äußerst lebendig wird bei uns derzeit eher über das Verhältnis von Kirche und Staat gestritten.

KNA: Auch bei Ihnen haben schon Gäste munter aneinander vorbei geredet. Welche Begegnung ist zuletzt besonders gut gelungen?

Schuller: Das Gespräch zwischen dem Benediktiner und Bestsellerautor Anselm Grün, dem katholischen tschechischen Intellektuellen Thomas Halik und dem bekennenden Atheisten Joachim Kahl. Klare Positionen, hohe Reflexionsebene. Man hat aufeinander gehört, ohne dass es am Ende die große Übereinstimmung gab - und beim gemütlichen Beisammensein intensiv weiter diskutiert.

KNA: Wie feiern Sie das Jubiläum?

Schuller: Diesmal nicht mit einem zentralen Festakt in München. Wir wollen deutlich machen, dass unsere Träger alle bayerischen Bistümer sind. Deshalb wird es an sieben ausgewählten Orten besondere Veranstaltungen geben, jeweils mit dem Bischof und einem von ihm verantworteten Thema. Nur zwei Beispiele: Der kunstliebende Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann spricht im Schweinfurter Museum Schäfer mit Markus Lüpertz. Kardinal Reinhard Marx trifft auf Herrenchiemsee, wo das Grundgesetz geschrieben wurde, den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle.


Quelle:
KNA