NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust

Mehr als nur Fakten

Es gehe darum, das Holocaust-Gedenken konkret zu machen, die Opferperspektive einzunehmen, den Einzelnen zu sehen. NRW-Schulministerin Silvia Löhrmann ist gerade von einer Israel-Reise mit Schülern zurück. Mit domradio.de spricht sie über ihre Erfahrungen.

Halle der Namen in Yad Vashem (epd)
Halle der Namen in Yad Vashem / ( epd )

domradio.de: Sie sind gestern zurückgekommen von einer sehr bewegenden Reise. Zum ersten Mal sind Sie nach Israel eingeladen worden, um gemeinsam mit Schülern und Studenten der Opfer des Holocaust zu gedenken. Ich kann mir vorstellen, das das eine sehr beeindruckende Reise gewesen ist. 

Sylvia Löhrmann (Bündnis 90/Die Grünen, NRW-Schulministerin): Ja, absolut - und zwar in vielfältiger Hinsicht. Zum einen habe ich den Gedenk- und Lernort Yad Vashem noch einmal aus einer anderen Perspektive gesehen und erlebt. Ich hatte Yad Vashem schon einmal vorher besucht. Aber durch eine sehr besondere Führung und auch durch den Kontakt mit Schülerinnen und Schülern und mit Lehramtsstudierenden ist mir deutlich geworden, wie wichtig es ist, dass die Schülerinnen und Schüler die Opferperspektive vermittelt bekommen und nicht nur die Fakten und das Wissen, das in Geschichtsbüchern und im Politikunterricht vermittelt wird. Das ist alles richtig - das steht außer Frage. Aber der Gedenkstätte gelingt es zu vermitteln: Das sind einzelne Menschen gewesen; Menschen, die ihre Jugend noch vor sich hatten, die aus dem Familienleben gerissen worden sind. Und das ist sehr, sehr eindringlich gewesen.

Im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern hat man gemerkt: Die haben das angenommen. Wenn dann ein junger Mensch von 14 oder 16 Jahren sagt: Da haben wir was gelernt und wir Deutsche dürfen bestimmte Linien nicht mehr übertreten - sprich: Wege gehen zum Faschismus, zur Ideologie - dann sind die Lernziele sehr erfüllt worden; auch Dank der guten Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer.

domradio.de: Jetzt können wir aber ja nicht sämtliche Schülerinnen und Schüler aus Nordrhein-Westfalen nach Jerusalem schicken. Wie kann man das Thema denn den Schülern auch hier nahebringen? 

Löhrmann: Es reisen nicht alle nach Yad Vashem - natürlich nicht. Es reisen auch nicht alle nach Auschwitz, wo ich ja in den Vorjahren immer gewesen bin. Aber ich habe in den Jahren meiner Ministerinnentätigkeit höchst unterschiedliche Auseinandersetzungen mit dem Thema erlebt: Das kann ein Film sein über einen Widerstandskämpfer, das kann ein Anne-Frank-Gedenktag sein, das ist der 9. November, wenn Jugendliche das Gedenken an die Pogromnacht in ihrer Stadt gestalten, das kann die Spurensuche nach Berühmten der eigenen Stadt sein, die ausgelöscht werden sollten.

Es muss nicht immer eine Reise an einen solchen Gedenkort stattfinden. Das haben wir hier in Nordrhein-Westfalen und auch in den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz formuliert: Es geht darum, außerschulische Lernorte aufzusuchen. Und ich freue mich wirklich, dass sich die Schulen so intensiv dieser besonderen historischen und erzieherischen Aufgabe stellen.

domradio.de: In Israel ist besonders das interreligiöse Miteinander ein großes Thema. Sie haben auch gemeinsame Projekte von jüdischen und arabischen Jugendlichen besucht. Was erlebt man da?

Löhrmann: Das ist nochmal eine weitere Ebene: Wie ist die Lage heute in Israel? Wie ist die Lage in den Palästinensergebieten? Wir durften unterschiedlichste Perspektiven kennenlernen. Mich hat es sehr bewegt, Eltern einer Schule in Jerusalem - der Hand-in-Hand-Schule - zu treffen, die sagen: "Wir brauchten diese Schule, damit wir Eltern uns mal besuchen - wir jüdischgläubigen Eltern und wir arabisch-muslimischgläubigen Eltern. Wir dachten anfangs, wir gehen in eine fremde Welt, aber man trifft eigentlich Nachbarn, und mit denen gemeinsam geht es uns um die gute Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen." Das war sehr, sehr bewegend. 

domradio.de: In dem Konflikt im Heiligen Land geraten auch die Christen immer mehr zwischen die Fronten. Sie sind selber engagierte Katholikin - wie haben sie die Christen im Land erlebt?

Löhrmann: Wir hatten eine Führung in Bethlehem von einer Christin aus den Palästinensergebieten, die ihre Situation sehr engagiert beschrieben hat. Sie sagte: "Auf einmal ist hier eine Mauer gebaut worden. Dabei müssen wir doch eigentlich versuchen, Mauern zu überwinden und miteinander ins Gespräch zu kommen."

Wichtig ist insgesamt, dass der interreligiöse Dialog auf allen Ebenen gestärkt wird. Auch da gibt es gute Ansätze. Die müssen ausgebaut werden, damit die Menschen sich kennenlernen und sich begegnen. Denn, wen man kennt und wem man in die Augen schaut, vor dem hat man keine Angst und gegenüber dem kann man keine Vorurteile prägen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch. 


NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann (dpa)
NRW-Schulministerin Sylvia Löhrmann / ( dpa )
Quelle:
DR