Eine Analyse des Bischofsworts zu "Amoris Laetitia"

"Synodal oder: Wie möglich wurde, was unmöglich erschien"

Über neun Monate nach der Veröffentlichung des Papstschreibens Amoris laetitia ist heute ein 'Wort der deutschen Bischöfe' erschienen, das Konsequenzen hierzulande aufzeigt. Eine Analyse von Dr. Holger Dörnemann aus dem Erzbistum Köln.

Kommunion (dpa)
Kommunion / ( dpa )

Über neun Monate nach der Veröffentlichung des Papstschreibens Amoris laetitia am 8.4.2016 ist heute ein 'Wort der deutschen Bischöfe' der Wertschätzung, des Dankes, ergänzt mit ersten Ausführungen zu "wichtigen Leitpunkten" und "Konsequenzen" für die Ehe- und Familienseelsorge in Deutschland, vorgestellt worden. Es nimmt im Titel dieselbe Formulierung auf, mit der auch das nachsynodale Schreiben zu Beginn auf den ersten Satz der das II. Vatikanische Konzil kennzeichnenden Pastoralkonstitution Gaudium et spes  (1) anspielt: ‘Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche‘. Das lang erwartete deutsche Bischofswort würdigt, wie Papst Franziskus in Amoris laetitia die "Erträge des synodalen Weges zusammen[]fasst und weiter[]führt, den die Kirche in den Jahren 2014 und 2015 mit ihm beschreiten konnte. Gerade die alltagsnahe und lebensbejahende Sprache, in der Papst Franziskus von Ehe, Partnerschaft, Sexualität, Elternschaft, Familie und vor allem von Familien spricht, macht Amoris laetitia zu einer inspirierenden Quelle für das Leben von Ehe und Familie."

Im Zuge der "Vorbereitung und Begleitung des synodalen Weges […], bei den Befragungen im Vorfeld und in der fachlichen Aufbereitung", in denen der "synodale Weg ein Weg der ganzen Kirche war", wurden die vielfältigsten Lebenssituationen der Ehepaare und Familien von heute deutlich. Vor dem Hintergrund dieses synodalen Prozesses formulieren die Deutschen Bischöfe mit dem heutigen Tag "erste Schwerpunkte" für die Kirche in Deutschland zu den Stichwörtern ‚Ehevorbereitung‘, ‚Ehebegleitung‘, ‚Stärkung der Familie als Lernort des Glaubens‘, ‚Umgang mit Zerbrechlichkeit: begleiten - unterscheiden - eingliedern‘.

Begleitung von Paaren auf dem Weg zur Eheschließung

Die ersten drei Leitpunkte unterstreichen die Bedeutung einer intensiven Begleitung von Paaren auf dem Weg zur Eheschließung und ihrer fortwährenden pastoralen Unterstützung. Wie Papst Franziskus vor wenigen Tagen in seiner Ansprache vor dem Vatikangerichtshof, der Rota Romana, am 21.1.2017 ein "neues Katechumenat" in der Ehevorbereitung ähnlich dem Taufkatechumenat anregte, fordern auch die Deutschen Bischöfe "Anstrengungen zur Entwicklung eines Ehekatechumenates", das kirchenferne und glaubensentwöhnte Paare ebenso erreicht, wie die kirchliche Ehe- und Beziehungspastoral und -beratung ebenso auch interkonfessionellen Paaren sowie allen Paaren in schwierigen Situationen zu gelten habe. Im selben Maße, wie den Deutschen Bischöfen "die Entfaltung einer Ehe- und Familienspiritualität besonders am Herzen" liegt, plädieren sie in dem Abschnitt "Familie als Lernort des Glaubens" für eine Erziehung der Kinder, die "von einem Weg der Glaubensweitergabe geprägt sein" muss. Dabei wissen sie einzuschätzen, dass "die Gestaltung religiöser Elemente und Rituale im Familienleben nicht das Außergewöhnliche braucht, sondern die Nähe zum Alltag." Gegen Ende dieses dritten Leitpunktes betonen die Deutschen Bischöfe: "Diese Prozesse wollen wir verstärkt seelsorglich begleiten."

Bei einem quantitativen Vergleich fällt auf, dass der vierte Schwerpunkt des Bischofswortes ‚Umgang mit Zerbrechlichkeit: begleiten - unterscheiden - eingliedern‘ mit knapp drei Textseiten in etwa dem Umfang der drei vorausgegangenen entspricht. Die Deutschen Bischöfe widmen sich an dieser Stelle allen Paaren in schwierigen Situationen, Personen in zerbrechenden und getrennten Paarbeziehungen wie insbesondere auch den Menschen, "die nach einer Scheidung zivilrechtlich wieder geheiratet haben und sich nach dem Empfang des Bußsakramentes und der Eucharistie sehnen."  Geist und Inhalt des im nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia festgestellten synodalen Konsenses aufnehmend, unterstreichen die Deutschen Bischöfe zu dem letztgenannten Punkt "die drei Aspekte Begleiten, Unterscheiden und Einbeziehen als zentrale Leitbegriffe" und stellen – unbeschadet der nachdrücklichen Empfehlung der Dienste der diözesanen Ehegerichte – die zuletzt in diesem Blog am 8.1.2017 in Hinblick auf das Bistum Rom zitierte und ähnlich auch schon von den Bischöfen Argentiniens und Maltas formulierte Deutung fest:

"Amoris laetitia bietet in dieser Frage keine allgemeine Regelung und kennt keinen Automatismus in Richtung einer generellen Zulassung aller zivilrechtlich wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten. […]

Amoris laetitia bleibt aber dennoch nicht beim kategorischen und irreversiblen Ausschluss von den Sakramenten stehen. […]  

Amoris laetitia geht von einem Prozess der Entscheidungsfindung aus, der von einem Seelsorger begleitet wird. Unter der Voraussetzung dieses Entscheidungsprozesse, in dem das Gewissen aller Beteiligten in höchstem Maße gefordert wird, eröffnet Amoris laetitia die Möglichkeit, die Sakramente der Versöhnung und der Eucharistie zu empfangen."

Würdigung nicht sakramentaler Partnerschaften

Die Deutschen Bischöfe wissen um die Notwendigkeit, den Seelsorgern Kriterien für diesen Begleitungs- und Unterscheidungsprozess an die Hand zu geben und verweisen bereits auf die "Kriterien einer Gewissensbildung […, die] in ausführlicher und hervorragender Weise" in den Abschnitten von AL 298-300 ausgeführt sind. Ohne auf die von vier Kardinälen – unter ihnen auch die deutschen Alt-Kardinäle Brandmüller und Meisner – an Papst Franziskus in einem im November 2016 veröffentlichten Brief herangetragenen,  naturrechtlich begründeten Anfragen (‚Dubia‘) einzugehen, kann für sie auch die Erklärung des Synodensekretärs Kardinal Baldisseri vom 12.1.2017 gelten, dass dem nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia nichts weiter hinzuzufügen ist, "außer zu wiederholen, dass alle Antworten, die erforderlich sind, schon in diesem Apostolischen Schreiben enthalten sind." 

Über den vierten ‚Leitpunkt‘ des Bischofswortes ‚Umgang mit Zerbrechlichkeit: begleiten - unterscheiden - eingliedern‘ und den bedeutsamen Schritt, den die Rezeption des synodalen Weges und des nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia für die Kirche in Deutschland in dieser Frage bedeutet, kann der Hinweis leicht überlesen werden, dass über die vier genannten Leitpunkte hinaus "weitere Schwerpunkte" – wie es ausdrücklich heißt – zu entfalten wären. Sie finden sich in aktuellen Buchpublikationen und insbesondere in einem dieser Tage veröffentlichten und mit einem Begleitwort des Vorsitzenden der Pastoralkommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Dr. Franz-Josef Bode, versehenen Buch von Martina Kreidler-Kos, Diözesanreferentin für Ehe- und Familienpastoral des Bistums Osnabrück, und Christoph Hutter, Leiter der Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsberatung in Lingen/Ems,  "Mit Lust und Liebe glauben. 'Amoris laetitia' als Impuls für Gemeinde, Partnerschaft und Familie" bereits hervorgehoben.

Was in dem Wort  der Deutschen Bischöfe in Bezug auf die  "lebensbejahende und alltagsnahe Sprache" (s.o.) angedeutet ist, wird hier auch in der über  'Ehe und Familie' hinausgehenden Perspektive des Papstschreibens ausgeführt, die auch die Würdigung nicht sakramentaler Partnerschaften einbezieht und deren gelebte Treue und Hingabe, Zuverlässigkeit und Fürsorge anspricht: insofern sie Ideale der Ehe "zumindest teilweise oder analog" (AL 292) verwirklichen. Mit dem schon im Blog-Beitrag vom 8.4.2016 angedeuteten, 'weiten Blick' von Amoris laetitia gelingt es den Autoren die Pluralisierung der Partnerschafts- (S. 62f) und Familienformen (S. 153) in einer wertschätzenden Sprache aufzunehmen. Sie bringen – immer in Bezug auf das Papstschreiben – realitätsnahe Beschreibungen erfüllter Paarbeziehungen ins Wort, aber ebenso ihre Gefährdungen durch eine an unwirklichen und falschen Idealen orientierte Romantisierung (S. 80 f) oder  Moralisierung und Überhöhung der Liebe (S. 82)  wie die Gefahr einer "Idealisierungsspirale" und die schleichende "Optimierungsdynamik"  des Familienalltags (S. 117). Und wer an Amoris laetitia orientierte Hinweise eines neuen Ansatzes in der  Sexualethik und -pädagogik sucht, wird mit Zitationsangaben in AL zur Sexualität als einem "Such-, Aushandlungs- und Findungsprozess" (S. 105) ebenso fündig, wie mit mannigfachen Hinweisen zur Förderung, Pflege und Erhaltung der Beziehungsqualität beschenkt.

"Synodal oder: Wie möglich wurde, was unmöglich erschien" – unter diesem Titel fasst Bischof Bode in seinem Begleitwort zu dem gerade erschienenen Buch seine persönlichen Eindrücke von der Weltbischofssynode zu Ehe und Familie zusammen. Diese "Zeichen und Wunder", die angefangen von der weltweit ersten Umfrageveröffentlichung im Jahr 2013 zweieinhalb Jahre später  im nachsynodalen Schreiben Amoris laetitia auf der Ebene der Weltkirche ihren Niederschlag gefunden haben, finden über das aktuelle Bischofswort nun auch in der Kirche in Deutschland ihre Konkretion und Rezeption. Sie vermitteln eine über lange Jahre vermisste Sprachfähigkeit, 'mit Lust und Liebe zu glauben', und – unterstützt durch die hierzu publizierten Bücher – Impulse und lebensnahe 'Alltagschecks' für Gemeinde, Partnerschaft und Familie, die wertschätzend einbeziehen, herausfordern und weiterführen.

Der Verfasser der Analyse Dr. Holger Dörnemann ist Leiter des Referates Katechese und Sakramentenpastoral in der Hauptabteilung Seelsorge des Erzbischöflichen Generalvikariats Köln.


Dr. Holger Dörnemann / © privat
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Quelle:
DR