Soweit, dass ein Papst offiziell ein Luther-Jahr in der katholischen Kirche ausruft, ist es noch nicht. Doch das Reformationsgedenken strahlt überraschend stark nach Rom aus. Jüngster Beleg ist die Audienz einer Delegation des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) unter Leitung des EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm am Montag. Begleitet werden die Spitzenvertreter der deutschen Protestanten vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx. Eine ökumenische Premiere.
Franziskus schreibt das Reformationsgedenken groß. Das hätte anfangs nicht jeder von dem lateinamerikanischen Papst erwartet. Schließlich hat in dessen Heimatland Argentinien die "Evangelische Kirche am La Plata" weniger Mitglieder als eine Pfingstkirche namens "Zukunftsvision". Tatsächlich erweckten Franziskus' Besuch einer pfingstkirchlichen Gemeinde 2014 sowie seine regelmäßigen Begegnungen mit Vertretern von Freikirchen zeitweilig den Eindruck, er ziehe die Charismatiker den etablierten evangelischen Kirchen vor.
Erstmals gedachte ein Papst mit protestantischen Spitzenvertretern der Reformation
Doch spätestens das ökumenische Gebet des Papstes mit Spitzenvertretern des Lutherischen Weltbundes (LWB) am Reformationstag 2016 im schwedischen Lund hat dieses Bild relativiert. Erstmals überhaupt gedachte ein Papst gemeinsam mit protestantischen Spitzenvertretern der Reformation. Und Franziskus sagte Sätze, die noch kein Papst gesagt hatte. Etwa: "Dankbar erkennen wir an, dass die Reformation dazu beigetragen hat, die Heilige Schrift mehr ins Zentrum des Lebens der Kirche zu stellen."
Auch unterhalb dieser offiziellen Ebene tat sich Einiges: So äußerte sich der Papst in einem Interview ausführlich über Martin Luther und die Reformation; die Vatikanische Post würdigt den Reformator in diesem Jahr erstmals mit einer eigenen Briefmarke; ein Beichtvater im Petersdom berichtete im Privatgespräch begeistert von seiner Luther-Lektüre, und erst am Donnerstag zitierte der Präsident des Päpstlichen Kulturrates, der italienische Kurienkardinal Gianfranco Ravasi, Luther in einer Pressekonferenz auf Deutsch: "Hier kann nicht sein ein böser Mut, wo da singen Gesellen gut."
Differenzen nicht geringer geworden?
Die Stimmung hat sich verändert, darin sind sich die Beobachter einig. In der Sache allerdings ist bislang keine Annäherung erkennbar. Die theologischen Differenzen zwischen Katholiken und Protestanten sind seit dem Amtsantritt von Franziskus nicht geringer geworden. Auch er verwendet etwa wie seine Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI. nur die Bezeichnung "kirchliche Gemeinschaften" für die evangelischen Kirchen, die von protestantischer Seite als herabsetzend abgelehnt wird.
Der Papst betont zwar immer wieder, dass der ökumenische Dialog nicht allein den Fachtheologen überlassen werden dürfe. Doch auch Franziskus weiß, dass ein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Lutheranern nur möglich ist, wenn es zuvor eine theologische Verständigung gibt. In einer gemeinsamen Erklärung mit dem Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, Bischof Munib Younan, forderte er Ende Oktober einen intensiveren Dialog über diese Frage.
Unterschiedliche Vorstellungen
Wie ein solcher Dialog konkret aussehen soll, bleibt vorerst allerdings noch unklar. Offenbar gibt unterschiedliche Vorstellungen davon. Der vatikanische Ökumene-Verantwortliche, Kardinal Kurt Koch, strebt eine grundsätzliche theologische Klärung an. Er will eine gemeinsame Erklärung über Kirche, Eucharistie und Amt mit dem Lutherischen Weltbund. Vorbild soll die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre von 1999 sein. LWB-Generalsekretär Martin Junge äußerte Zweifel daran. Er forderte konkrete Veränderungen.
"Es ist an der Zeit, gemeinsam über weitere konkrete Schritte auf dem Weg zur sichtbaren Einheit nachzudenken", sagte Bedford-Strohm kurz vor der Abreise am Samstag. Welche Schritte er hierbei im Blick hat, sagte er nicht. Möglicherweise gibt es zumindest für die Partner in gemischt konfessionellen Ehen einen Hoffnungsschimmer. Denn in diesem Punkt hatte der Vatikan zuletzt Offenheit signalisiert. Es gehe hier um eine seelsorgerische Frage in Einzelfällen, die zwischen Katholiken und Lutheranern vor Ort geklärt werden könne, sagte Kardinal Koch in Lund.