Missbrauch und Misshandlung hunderter Regensburger Domspatzen haben der traditionsreichen katholischen Einrichtung in den letzten Jahren viel mediale Aufmerksamkeit eingetragen. In diesen Tagen wollte der vom Bistum Regensburg beauftragte unabhängige Sonderermittler Ulrich Weber seinen Abschlussbericht zu diesem dunklen Kapitel vorlegen. Doch der lässt auf sich warten. Stattdessen erscheint am Montag das Buch eines Protagonisten auf der Seite der Betroffenen.
Mit einem Co-Autor hat Alexander Probst seine Geschichte aufgeschrieben, die vor allem ein Motiv prägt: den zähen Kampf um Anerkennung des Erlittenen - etwas, das auch viele andere ehemalige Domspatzen umtreibt. In der Ich-Form schildert Probst, heute ein erfolgreicher Hundetrainer, was er Ende der 1960er Jahre in der Vorschule des weltberühmten Knabenchors in Etterzhausen an Misshandlung erlebt hat.
Im Schlafsaal aufgesucht
Später, am Musikgymnasium in Regensburg, missbraucht ihn ein Erzieher, ein sogenannter Präfekt, nachts im Schlafsaal, weit mehr als hundertmal, wie er schreibt. Der nicht mit seinem Klarnamen bezeichnete Täter wird später Priester in einem bayerischen Bistum und 2010, nach Bekanntwerden der Vorwürfe, suspendiert. Nachlesen kann man nun, wie Probst im Jahr darauf von seinem Peiniger einen Anruf erhält und der ihm tatsächlich ein gemeinsames Buch über "unsere schöne Zeit" bei den Domspatzen vorschlägt.
All das ist bedrückend, aber nicht neu, denn Probst war der erste ehemalige Domspatz, der im Skandaljahr 2010 öffentlich über das Erlebte sprach - in Magazinen und in Talk-Shows. Für ihn war es der Beginn des langen Anrennens gegen das Nicht-Gehört-Werden, das sich mit dem Buch nun in komprimierter Form nachvollziehen lässt.
Misstrauen gegenüber Ratzinger
Die vehement vorgetragene Anklage des Autors wendet sich nicht nur gegen den Täter. Probst ist der bisher einzige Belastungszeuge, wenn es um die Frage geht, ob Papst-Bruder Georg Ratzinger von den Missbrauchsfällen bei den Domspatzen wusste. Probsts Vater, ein ehemaliger Preisboxer, habe den langjährigen Domkapellmeister kurz vor Schuljahresende 1971 lauthals zur Rede gestellt, schreibt der Ex-Domspatz.
Ratzinger hat in Interviews zwar eingeräumt, selbst Schläge ausgeteilt zu haben, allerdings nur im Rahmen dessen, was damals in pädagogischen Einrichtungen und Familien üblich gewesen sei. Von sexuellem Missbrauch bei den Domspatzen habe er aber nie etwas mitbekommen. Das mag Probst nicht glauben.
Versöhnliches Ende
Auch bei der Rolle Gerhard Ludwig Müllers in dem Komplex gehen die Sichtweisen auseinander. Probst wirft dem Kardinal vor, als Bischof von Regensburg von 2002 bis 2012 die Aufklärung der unrühmlichen Domspatzenvergangenheit nicht nur nicht befördert, sondern geradezu verhindert zu haben. Der Kardinal dagegen besteht darauf, er habe diese initiiert. Sein Nachfolger Bischof Rudolf Voderholzer habe darauf aufbauen können.
Keinen Zweifel lässt das Buch daran, dass der aktuelle Regensburger Bischof zur Aufklärung und Aufarbeitung nach Ansicht des Großteils der Betroffenen entscheidend beigetragen hat. Was Probst am Ende seines kämpferischen Leidensberichtes letztlich versöhnlich stimmt.
Abschlussbericht im März
Doch gerade die so mühsam erstrittene Aufklärung könnte kurz vor dem Ziel ins Stocken kommen. Sonderermittler Weber geriet vor wenigen Wochen in den Strudel eines Regensburger Politik-Skandals, die Korruptionsaffäre um den inzwischen in U-Haft sitzenden Oberbürgermeister Joachim Wolbergs (SPD). In Webers Privatwohnung soll es kurz vor Ende 2016 ein Treffen der Hauptbeschuldigten gegeben haben, berichteten mehrere Medien. Von der Vernichtung von Beweismitteln und der Beeinflussung eines Zeugen ist die Rede.
Weber schweigt bisher dazu. Das Bistum Regensburg als sein Auftraggeber in Sachen Domspatzen verwies gegenüber dem Bayerischen Rundfunk auf die Unschuldsvermutung und stellte fest, es gebe keinen Anlass zu Zweifeln an Webers Vertrauenswürdigkeit. Mit seinem Abschlussbericht wird aber erst im März gerechnet.