Experten mahnen zu realistischen Erwartungen an Terrorprävention

... und dann?

Radikalisierung ist in aller Munde. Forscher und Beratungsteams pochen auf klarere Strukturen bei Präventionsprogrammen. Aktuelle Debattenbeiträge aus Frankreich könnten die Diskussion auch hierzulande voranbringen.

Autor/in:
Paula Konersmann
Eine vollverschleierte Frau schaut durch die Schlitze ihres Nikab / © Boris Roessler (dpa)
Eine vollverschleierte Frau schaut durch die Schlitze ihres Nikab / © Boris Roessler ( dpa )

Der Bedarf steigt: Rund 1.000 Anrufe verzeichnete die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im vergangenen Jahr - 100 mehr als 2015. Etwa 1.600 Menschen zählt der Verfassungsschutz inzwischen zur sogenannten islamistisch-terroristischen Szene - ebenfalls ein Anstieg. Die Radikalisierung junger Menschen stellt die Gesellschaft vor Herausforderungen. Wenn rechtzeitig ein Beratungsteam eingeschaltet wird, das im Extremfall eine Ausreise nach Syrien oder in den Irak verhindern kann, ist sicherheitspolitisch betrachtet viel gewonnen.

Aussteigerprogramm für Frauen

Auf entwicklungspsychologischer Ebene fängt die Arbeit in diesem Moment erst an. Mit diesem Knackpunkt befasst sich ein französischer Spielfilm, der am 23. März in die Kinos kommt. Regisseurin Marie-Castille Mention-Schaar hat für "Der Himmel wird warten" mit vielen jungen Mädchen gesprochen, die in Frankreich an Programmen zur Deradikalisierung - also Abkehr und Ausstieg aus der extremistischen Szene - teilnehmen. "Für diese jungen Frauen ist es schwer, wieder ein normales Leben zu führen, ihre Zukunft ist wahrscheinlich verpfuscht", sagte Mention-Schaar dem Fachmagazin "Filmdienst".

Die Erkenntnis, von der Propaganda der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) belogen worden zu sein, sei der erste Schritt. Dies akzeptierten viele Betroffene jedoch nur widerwillig. "Etwas ist in ihnen zerstört; selbst wenn man sie ermuntert, die neue Chance zu ergreifen, sich helfen zu lassen, bleiben sie skeptisch und suchen die Schuld bei sich", so die Filmemacherin. "Es fehlt ihnen an Vertrauen. Manche ziehen den Hidschab wieder an. Immer besteht die Gefahr eines Rückfalls."

"Es gibt keine richtige Methode"

Diese Gefahr sieht auch der französische Journalist David Thomson. In seinem Sachbuch "Les revenants" (dt. "Die Rückkehrer") porträtiert er junge Menschen, die aus dem Irak oder aus Syrien zurückgekehrt sind. Die Mehrheit der zurückkehrenden Kämpfer vertrete weiterhin die IS-Ideologie, sagte er kürzlich dem "Spiegel". Und: "Es gibt keine richtige Methode, wie man mit ihnen umgeht. Das Drama ist, dass viele wieder in demselben langweiligen Leben landen, das sie unbedingt hinter sich lassen wollten."

Von Programmen zur Deradikalisierung verspricht sich der Experte nicht viel. "Die einzige erfolgreiche Deradikalisierung ist die, die am Ende eines persönlichen Weges, einer Läuterung steht", sagt er. Es sei allerdings auch nicht vom Staat zu erwarten, "dass er einen Zaubertrank gegen den IS erfindet".

Bundesstelle "Prävention" im Gespräch

In Deutschland gibt es zahlreiche Angebote gegen Radikalisierung. Vor kurzem forderte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), die Einrichtung einer Bundesstelle "Prävention". Viele bestehende Projekte seien gut und hätten sich bewährt, sagte sie der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Es fehle bislang jedoch an einer bundesweiten Vernetzung.

Der OSZE-Sonderbeauftragte zur Bekämpfung von Radikalisierung, Peter Neumann, denkt, Deradikalisierung sei kein "Allheilmittel", sagte der Terrorforscher vor kurzem dem Luxemburger "Tageblatt". Deradikalisierung funktioniere nicht wie eine Hypnose, sondern "nur dann, wenn die Person schon Zweifel und Fragen hat."


Quelle:
KNA