KNA: Pater Stark, wie kommen die Jesuiten dazu, an einem Film von Martin Scorsese mitzuwirken?
Jesuitenpater Martin Stark: Der Regisseur war Messdiener, Jesuiten unterrichteten ihn an einer Schule in New York. Für seinen Film, in dem es um ein dramatisches Kapitel unserer Ordensgeschichte geht, suchte er selbst Kontakt zu uns. Pater James Martin, der in den USA ein Magazin herausgibt, bloggt und mehrere Bücher geschrieben hat, wodurch er recht bekannt ist, hat die Dreharbeiten begleitet, dazu einige weitere Jesuiten, die in Taiwan in einer Filmproduktionsgesellschaft arbeiten. Was ich schön finde: Zwei Schauspieler haben bei Pater Martin Exerzitien gemacht, um sich auf ihre Rolle vorzubereiten, um sich hineinzudenken und zu fühlen, wie Jesuiten leben.
KNA: Was ist historisch an der Story?
Stark: Belegt ist der Glaubensabfall des portugiesischen Jesuitenprovinzials Cristovao Ferreira nach seiner Folter im Jahr 1633 in Japan. Die von den damaligen Machthabern angeordnete Christenverfolgung war an einem Höhepunkt angelangt. Man hatte eine neue Hinrichtungsform erfunden, die "Grube". Das Opfer wurde an den Füßen aufgehängt und der Kopf in einen Kübel mit Unrat getaucht. Die Körper wurden dabei zusammengeschnürt, um die Blutzirkulation zu verlangsamen und damit den Tod hinauszuzögern. Ferreira gab nach fünf qualvollen Stunden in der "Grube" auf und schwor seinem Glauben ab.
KNA: Wie hat Ihr Orden darauf reagiert?
Stark: Die Nachricht hat eine Riesenenttäuschung ausgelöst. Denn dieser Provinzial hatte vorher Märtyrerberichte nach Europa geschickt, die dort eine unheimliche Missionsbegeisterung auslösten.
Durch seine Briefe konnte man miterleben, was Christen in fernsten Ländern alles aushalten müssen. Das hat junge Menschen dazu bewegt, in den Orden einzutreten. Jetzt wird ausgerechnet dieser Mann selber Buddhist, wenn auch unter Zwang. In Nagasaki wird er mit der Witwe eines chinesischen Kaufmanns verheiratet und erhält vom Gouverneur eine jährliche Rente. Er macht sich als Übersetzer nützlich, sein Name taucht als Zeuge bei anderen Glaubensabfällen auf.
KNA: War seine Konversion echt?
Stark: Das lässt sich heute nicht mehr sagen. Später kursierten in Europa Legenden, wonach Ferreira am Ende seines Lebens widerrufen habe, erneut gefoltert und als Märtyrer gestorben sei. Was stimmt: In Japan hat das Christentum auch die in dieser Zeit einsetzende rund 250-jährige Abschottung vom Ausland überlebt. Im Untergrund.
KNA: Was hat der Film uns heute zu sagen?
Stark: Letztlich geht es um den Glauben angesichts der Erfahrung schlimmster Gewalt. Wir haben die Bilder der Leute vor Augen, die von islamistischen Terroristen geköpft wurden. Wie weit könnte ich das selbst aushalten, wie weit würde ich gehen, um meiner Religion treuzubleiben? Wenn ich andere durch mein Abschwören vor Schlimmem bewahren könnte? Ich finde diese Fragen hochaktuell und spannend. Für uns in Europa sind sie aber eher irritierend, weil wir Religion herkömmlich als etwas Privates verstehen, das sich im stillen Kämmerlein abspielt.
KNA: Haben Sie den Film selbst schon gesehen?
Stark: Leider noch nicht. Ich habe aber eine Menge Kommentare gehört von Mitbrüdern, die ihn vorab gesehen haben.
KNA: Welche?
Stark: Die einen sind ganz euphorisiert davon, von den beeindruckenden Bildern, andere stößt die gezeigte Gewalt ab. Wieder andere haben im Film den Gedanken der Exerzitien entdeckt, also das, was unsere Spiritualität ausmacht. Daher bin ich jetzt selbst sehr gespannt.
KNA: Der Papst ist Jesuit geworden, weil er Missionar in Japan werden wollte. Da müsste er sich doch auch für den Film interessieren.
Stark: Er hat den zugrundeliegenden Roman eines japanischen Autors gelesen und war wohl fasziniert. Bei der Preview in Rom hat Franziskus auch Scorsese getroffen, als der Film 400 Jesuiten gezeigt wurde. Aber selbst gesehen hat er ihn offenbar nicht.
KNA: Beim US-Publikum ist "Silence" durchgefallen. Warum?
Stark: Da kann ich nur mutmaßen. Ein Kassenschlager wird er sicherlich nicht werden. Er lief nicht bei der Berlinale, hat bisher keinen großen Preis bekommen. Das liegt vermutlich an dem sperrigen Thema, es gibt auch kein Happy End. Das verstört den Kinogänger erst einmal und lässt ihn mit Fragen zurück.
Das Interview führte Christoph Renzikowski.