Nun also auch die katholische Kirche. Auf ihrer laufenden Vollversammlung in Bergisch Gladbach schalteten sich die deutschen Bischöfe in die aktuelle Debatte über Armut und Reichtum in Deutschland ein. Sozialbischof Franz-Josef Overbeck beklagte ein wachsendes "Auseinanderklaffen von Arm und Reich". 40 Prozent des gesamten Vermögens lägen in den Händen von nur 10 Prozent der Bevölkerung, so der Bischof von Essen. Zugleich schrumpfe die Mittelschicht, die ihre eigenen Chancen und die ihrer Kinder gefährdet sehe, fügte der Vorsitzende der Sozialkommission der Bischofskonferenz hinzu.
Welche Schlüsse lassen sich ziehen?
Stimmt diese Diagnose? Und wenn ja, welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Eröffnet hat die Diskussion im Wahljahr SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz. "Die Ungleichheit nimmt zu - gefühlt und tatsächlich". Mit diesen Worten intonierte der ehemalige Präsident des Europaparlaments eine Grundmelodie seiner Kampagne. In der vergangenen Woche legte dann der Paritätische Wohlfahrtsverband seinen alljährlichen Armutsbericht vor. Eine Botschaft: Rund jeder sechste Deutsche lebt in Armut.
Schließlich will die Bundesregierung in Kürze ihren 5. Armuts- und Reichtumsbericht vorlegen. Laut der zuständigen Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) kam es bei der endgültigen Ressortabstimmung zu Verzögerungen. Ein Streitpunkt sind offenbar die Aussagen zu den besonders Reichen und zu deren Einfluss auf die Gesellschaft. Aber auch zum Thema Armut gibt es offenbar Redebedarf - zumindest, was die Zahlen des Paritätischen und deren Interpretation anbelangt.
Als armutsgefährdet gelten Haushalte, die über weniger als 60 Prozent des "mittleren Einkommens" verfügen. 2015 lag diese Armutsschwelle etwa bei 942 Euro für Singles und bei 1.978 Euro für Paare mit zwei Kindern unter 14 Jahren. Solche Berechnungen werden EU-weit seit gut drei Jahrzehnten angestellt. Ob aber alle Haushalte, die unter diese Einkommensarmutsgrenze fallen, tatsächlich arm sind, bleibt umstritten. Denn darunter fällt beispielsweise auch ein Großteil der Studenten. Auch führt die Berechnungsmethode dazu, dass die Zahl der "statistisch Armen" auch dann wächst, wenn der Wohlstand einer Gesellschaft steigt.
Bischof Overbeck warnt vor "Neiddebatte"
Während Bischof Overbeck in Bergisch Gladbach allgemein vor einer "Neiddebatte" warnte, die den Rechtspopulisten in die Hände spielen könnte, ging Caritas-Präsident Peter Neher direkt auf den Armutsbericht des Paritätischen ein. Er warf den Autoren Effekthascherei und übertriebene Skandalisierung vor. Ein Satz wie "Die Armut war so hoch wie nie" helfe keinem einzigen Betroffenen weiter. Gefragt seien präzise Analysen und konkrete Maßnahmen wie Steuerreformen, um einer ungleichen Verteilung der Vermögen entgegenzuarbeiten. Hier habe sich die Schere in den vergangenen zehn Jahren weiter geöffnet - bei den Einkommen hingegen stagniere sie.
Caritas-Generalsekretär Georg Cremer unterstützte seinen Chef bei einer Veranstaltung am Dienstagabend in Freiburg. "Ich werbe dafür, das Klein-Klein in der politischen Arbeit wertzuschätzen", zitierte ihn die "Badische Zeitung". Demnach forderte Cremer unter anderem eine bessere Förderung von Langzeitarbeitslosen und Schulabbrechern.
Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, hatte bereits in der vergangenen Woche vorsorglich die zu erwartende Kritik an dem Bericht seines Verbandes zurückgewiesen. Die Einschätzung, wonach jeder sechste Deutsche in Armut lebe, sei realistisch: Und zwar dann, wenn man unter Armut nicht verstehe, "dass Menschen erst unter Brücken schlafen oder in Papierkörben nach Pfandflaschen suchen müssen, bevor wir sie arm nennen, sondern wenn wir Armut als eine Situation begreifen, in der die Menschen so wenig Geld haben, dass sie am ganz normalen Leben nicht mehr teilhaben können", sagte Schneider dem Südwestrundfunk.
Der Streit um die gefühlte und die reale Armut bleibt also spannend, unter den politischen Parteien ebenso wie unter den Wohlfahrtsverbänden.