Alte und Schwache bleiben in der Ostukraine auf der Strecke

"Eigentlich nur noch sterben"

Wer konnte, ist längst vor dem Krieg im Osten der Ukraine geflohen. Zurück blieben die Alten und Kranken. Sie brauchen alles - auch Wärme und menschliche Fürsorge. Die Caritas unterstützt mit verschiedenen Projekten.

Autor/in:
Thomas Frühwirth
Konflikt in der Ukraine  / © Evgeniy Maloletka (dpa)
Konflikt in der Ukraine / © Evgeniy Maloletka ( dpa )

Ein schlammiger Weg führt in das ostukrainische Dorf Makarowe im Bezirk Stanytschno-Luhanske im Oblast Luhansk. Einige Hühner gackern; ein Kettenhund bellt. In einem der Häuser sitzt der 75-jährige Iwan Afanassjewitsch am Bett seiner Frau. Auf einem kleinen Teller keimen Zwiebeln, ein Kätzchen streift umher. In der Ecke hängt eine Ikone der Entschlafung Mariens. Unter dem Bett steht eine Bettpfanne. Valentina Maximowa, Iwans Ehefrau, ist seit rund drei Jahren gelähmt und bettlägerig. Vor drei Jahren begann auch der Krieg im Osten der Ukraine.

Besondere Gefahren in der Pufferzone

Seither sind die Menschen in der sogenannten Pufferzone besonderen Gefahren ausgesetzt, jenem 30 Kilometer breiten Streifen entlang der Kontaktlinie, die die Separatistengebiete von den Bereichen unter Regierungskontrolle trennt. In vielen Dörfern und Städten wird nach wie vor täglich gekämpft. Viele Häuser sind beschädigt und im Winter kaum zu beheizen; Fernwärme- und Wasserleitungen sind zerstört.

Vielerorts funktioniert die Gesundheitsversorgung nicht; die Preise für Medikamente und Nahrung sind für viele unerschwinglich. Oft bleiben Alte und Gebrechliche in diesen Gebieten allein zurück.

Iwan pflegt seine 65-jährige Frau. Mit einem Stock schlägt er gegen sein linkes Bein: eine Prothese. Iwan ist auch halb blind und taub - aber so höre er wenigstens den Beschuss kaum, sagt er. Seit Juni 2016 erhält das Ehepaar Unterstützung durch die Caritas. Bei Hausbesuchen werden Wunden versorgt und gekocht. Als Mitarbeiter erstmals das kleine Dorfhaus erreichten, war Valentina bereits wundgelegen. Nun hat sie eine gute Matratze, und die Geschwüre konnten heilen.

Sechs oder sieben Jahre lang hat Iwan an seinem Haus in Makarowe gebaut. Im Krieg wurde das Dach schwer beschädigt. Der Putz ist von den Wänden gefallen. Die Caritas hat neue Fenster bezahlt. Noch sind nicht alle der 90 demolierten Ziegel ausgetauscht. Iwan und Valentina konnten die Arbeiter nicht bezahlen, um das Dach zu reparieren.

Caritas-Initiative schafft Perspektiven

Iwan war früher selbst Arbeiter - in einer Eisenbahnfabrik. Er hatte sich eine hohe Pension erhofft. Vom Staat erhalten er und seine Frau zusammen nur etwa 80 Euro. Die beiden Kinder sind nach Russland ausgewandert, als der Krieg begann. Zu lachen hat Iwan trotz allem nicht verlernt. Dann blitzen drei Goldzähne hervor.

Die Caritas-Initiative "Bargeld für Arbeit" schafft Perspektiven für Menschen im arbeitsfähigen Alter. Damit die Jungen nicht aus den Dörfern wegziehen müssen und um gleichzeitig den Nachbarn helfen zu können, haben bereits 200 Personen eine Pflege-Grundausbildung erhalten. Sie betreuen Patienten wie Valentina.

Zudem leistet die Caritas seit 2015 Winterhilfe und versorgt Haushalte mit Heizmaterial, Öfen, Decken, Medikamenten und Hygieneartikeln. Sie hilft bei der Sanierung beschädigter Häuser und gewährleistet in zwölf Dörfern und Kleinstädten in den Oblasten Luhansk und Donezk entlang der Kontaktlinie noch bis Oktober die Gesundheitsversorgung für 1.200 chronisch Kranke.

Wunsch nach Frieden

In der Ukraine geht es nur langsam voran mit politischen, Sozial- und Wirtschaftsreformen. Eine verpflichtende oder staatliche Krankenversicherung gibt es bislang nicht; die Gehälter der Ärzte sind dürftig. Kostspielige Behandlungen können sich die meisten nicht leisten. Grund zur Hoffnung gibt es dennoch: Reformbemühungen im Gesundheitswesen und zur Einführung eines Krankenversicherungssystems.

Vor Iwans und Valentinas Haus steht eine alte Frau mit feuerrotem Kopftuch am Wegrand. Sie stützt sich auf einen Holzstab. Sie sei krank und wohne allein, sagt sie. Zwei Zähne ragen über ihre Oberlippe. Die durchdringenden blauen Augen wirken dagegen fast jugendlich. Auch ihr Haus ist bei den Gefechten zerstört worden. Sie wünscht sich Frieden: "Wozu der Krieg?"

Die alte Frau leidet unter Kopf- und Herzschmerzen. Medizinische Behandlungen kann sie sich nicht leisten. Sie wolle eigentlich nur noch sterben, sagt sie, und Tränen laufen über ihr zerfurchtes Gesicht. Zum Abschied schlägt sie das Kreuzzeichen nach Art der Ostkirchen. Dann spricht sie noch mal ihren Wunsch nach Frieden aus.


Quelle:
KNA