Es war ein langes Sterben. Das Herz des 91-jährigen Konrad Adenauer wollte nicht aufgeben. Mit Medikamenten und Sauerstoff versuchten die Ärzte, das Geschehen aufzuhalten. Noch einmal aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht, soll der erste Kanzler der Bundesrepublik auf ein Bild des vom Kreuz abgenommenen Jesus gewiesen und gesagt haben: "Do jitt et nix zo kriesche - Da gibt es nichts zu weinen."
Am 19. April 1967, vor 50 Jahren, ist Adenauer gestorben. An dem Pontifikalamt, das Kardinal Josef Frings am 25. April im Kölner Dom feierte, nahmen 15 Staatspräsidenten und Regierungschefs von US-Präsident Lyndon B. Johnson über den Franzosen Charles de Gaulle bis zum früheren israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion teil. Zu Tausenden standen die Menschen am Rhein-Ufer, als Adenauers Sarg mit dem Schnellboot Condor über den Rhein nach Rhöndorf gebracht wurde.
Ende einer Ära
Hunderttausende verfolgten die Feierlichkeiten am Fernseher. Eine Ära ging zu Ende. Geboren am 5. Januar 1876, Kölner Oberbürgermeister von 1917 bis 1933 und erneut 1945, 1933 von den Nazis entlassen und 1944 von der Gestapo verhaftet: Wenn Köln in den 1920er Jahren der Sprung in die Moderne gelang, dann hatte dieses Gelingen vor allem einen Namen: Konrad Adenauer. So jedenfalls bilanziert der Filmemacher und Buchautor Werner Biermann in seiner kürzlich erschienenen Adenauer-Biografie.
Aufstiegswille, eine gewisse Gier, eiserne Energie und autokratische Züge - das zeichnete Adenauer aus. Allerdings zeigt das kürzlich veröffentlichte Tagebuch des Adenauer-Sohnes Paul (1923-2007), dass der alte Kanzler durchaus dünnhäutig war: Er litt unter Alpträumen, Schlaflosigkeit, depressiven Schüben und Erschöpfungszuständen.
Aufgebaut und ausgesöhnt
Über Köln hinaus verbinden sich mit dem CDU-Gründer und ersten Kanzler vor allem die Aufbauleistung der 50er Jahre, die Westorientierung, das Engagement für Europa und die Aussöhnung mit Frankreich. Kaum ein Zeitgenosse konnte sich der Bilder von Adenauers Moskau-Reise 1955 entziehen, die zur Heimkehr von rund 10.000 Kriegsgefangenen führte. Auch die Wiedergutmachung gegenüber Israel und den Juden war Adenauer ein großes Anliegen.
Im Rückblick auf die Adenauer-Zeit weist der französische Politikwissenschaftler Alfred Grosser darauf hin, wie oft besiegte Völker "alten Männern" die Führung übergeben und ihre Sorgen auf eine "väterliche Figur" übertragen. Doch er nennt auch die Kehrseite.
"Adenauer war zu spät zurückgetreten." Sein Alter wurde am Ende zum Handicap. Nach dem Rücktritt des Kanzlers im Oktober 1963 atmeten viele Deutsche auf. Denn das letzte Viertel der 14-jährigen Regierungszeit war geprägt von quälendem Machtverfall.
Absprung verpasst?
Schon auf dem Höhepunkt der Macht - die Union erhielt 1957 die absolute Mehrheit - hatte die Selbstdemontage Adenauers begonnen. Mit dem Ziel, seinem Rivalen Ludwig Erhard zu schaden, kandidierte er 1959 für das Amt des Bundespräsidenten. Doch schon zwei Monate später kam der Rücktritt von der Kandidatur. Hatte es sich doch gezeigt, dass sich die Befugnisse eines Bundespräsidenten nicht so weit dehnen ließen wie gewünscht. Die Presse warf ihm mangelndes Gespür für die Demokratie vor.
Erneut wurde dieser Verdacht bekräftigt, als 1962 die "Spiegel"-Affäre die Bundesrepublik erschütterte. Der Kanzler deckte Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß, obwohl der Bayer widerrechtlich die Verhaftung des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein und des stellvertretenden Chefredakteurs Conrad Ahlers angeordnet hatte.
Nazis und Mauerbau
Zum Stimmungsumschwung trugen auch die Diskussion um die NS-Vergangenheit hoher Beamter und Politiker und das Verhalten des Kanzlers beim Mauerbau bei. Dass alte Nazis auch in der Bundesrepublik Karriere machen konnten - siehe Kanzleramtschef Globke - wurde Adenauer zunehmend angelastet. Die Deutschen lösten sich aus dem Schatten des Übervaters.
Doch sehr schnell nach seinem Tod ist der "Alte von Rhöndorf" zum Mythos geworden. Zu seiner Beliebtheit haben auch die vielen Anekdoten beigetragen, die ihn als Schlitzohr und gewitzten Patriarchen charakterisierten. In Zeiten, in denen Europa so stark auf dem Prüfstand steht, gewinnt auch das politische Werk des Kanzlers neue Bedeutung.