Stattdessen verharre der Deutsche Evangelische Kirchentag aus seiner Geschichte heraus in einer Pose als "basisorientierte Gegenmacht von 'unten'", so Heinig in einem am Mittwoch vorab veröffentlichten Beitrag für die "Zeit"-Beilage "Christ & Welt".
Der Göttinger Juraprofessur argumentiert, nachhaltige soziale Impulse könnten nur von einem Kirchentag ausgehen, der von Gemeinden und kirchlichen Diensten getragen wird. Dass sich der Kirchentag als Laienbewegung von der verfassten Kirche abgrenze, verkenne die evangelische Ämtertheologie und die synodale Kirchenleitung - "als ob die verfasste Kirche von einem Klerikerstand mit vorreformatorischem Amtsverständnis beherrscht würde".
Verklärung der Vergangenheit
Der evangelische Kirchentag findet seit fast 70 Jahren an wechselnden Orten statt. Er wurde 1949 in Hannover als von der Amtskirche unabhängige Bewegung begründet. In diesem Jahr wird der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag vom 24. bis 28. Mai in Berlin und Wittenberg gefeiert und steht im Zeichen des 500. Reformationsjubiläums.
Heinig wirft dem Kirchentag vor, seine Vergangenheit zu verklären und führt die Positionierungen in der Abrüstungsdebatte in den 80er sowie zum Umweltschutz in den 90er Jahren als Beispiele an. "Hatte die Nato vielleicht doch Ihr Gutes? Solche Fragen hört man nie auf Kirchentagen", schreibt der Professor für öffentliches Recht und Staatskirchenrecht an der Universität Göttingen. "Die Sehnsucht nach moralischer Eindeutigkeit ist beim Kirchentag groß, doch solche Stimmungen sind kurzlebig und flüchtig", konstatiert Heinig und empfiehlt dem Christentreffen Reformen.
Standortbestimmung im deutschen Protestantismus
Der Kirchentag sei wichtig für Standortbestimmungen im deutschen Protestantismus. Doch damit das so bleibe, brauche er ein "entspanntes Bewusstsein der eigenen Kirchlichkeit". "Der Kirchentag der Zukunft muss sich stärker als Forum gewissenhafter Urteilsbildung des Einzelnen verstehen und weniger als kollektives Meinungssilo", empfiehlt Heinig darüber hinaus.
Entgegen seinem eigenen Anspruch sei der Kirchentag von einer "oligarchischen Leitungsstruktur" geprägt. Man könne nicht einfach Mitglied des Kirchentages werden, um mitzubestimmen. Dessen Leitungsebene sei vom Publikum abgeschirmt. Die Beteiligungsformen und Gremienstrukturen müssten transparenter und durchlässiger werden, rät Heinig.
Die Kommunikationsleiterin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Sirkka Jendis, reagierte auf Anfrage von domradio.de gelassen, man respektiere Einzelmeinungen.