domradio.de: Nachdem im Herbst Mecklenburg-Vorpommern gewählt hat, haben Sie gesagt: Wenn Christen die AfD wählen, wird eine rote Linie überschritten. Aktuelle Umfragen für die Wahl in Schleswig-Holstein sprechen von fünf bis sieben Prozent für die AfD am Sonntag. Beruhigt Sie das?
Dr. Stefan Heße (Hamburger Erzbischof und Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz): Diese Prognose ist natürlich wesentlich besser als das Ergebnis bei der Landtagswahl in Mecklemburg-Vorpommern, wo die AfD fast auf 20 Prozent kam. Und das in einem Land, in dem Migranten so gut wie nicht vertreten sind. Das scheint in Schleswig-Holstein im Moment überhaupt nicht der Fall zu sein. Wir müssen mal schauen, was am Sonntag herauskommt.
Wichtig ist jedenfalls - deshalb habe ich mich ganz bewusst an die Jungwähler gewandt, die am Sonntag zum ersten Mal mit sechzehn Jahren in Schleswig-Holstein an die Urne gehen können -, dass sie sich die Wahlprogramme anschauen, sie inhaltlich prüfen und versuchen, ihre Kandidatin, ihren Kandidaten kennenzulernen. Dann sollten sie nach ihrem Gewissen die Partei wählen, von der sie am meisten überzeugt sind. In den vergangenen Tagen gab es eine Diskussion in einer öffentlichen Schule, zu der die Oberstufenschüler die Spitzenkandidaten eingeladen hatten. Was ich von ihnen gehört habe, bestärkt mich darin, mir nicht zu viel Sorgen zu machen.
domradio.de: Die AfD ist eine legitimierte, demokratische Partei. Eigentlich müsste das unsere Demokratie doch "abkönnen", wenn es am rechten und linken Spektrum Parteien gibt - trotzdem ist es eine große Diskussion …
Heße: Es ist eine große Diskussion, weil sich in der Parteienlandschaft in letzter Zeit ziemlich viel bewegt hat und wir feststellen müssen, dass die großen Volksparteien nicht mehr so viel Zustimmung erhalten, wie wir das immer gedacht haben. Das scheint sich jetzt wieder ein wenig zu relativieren. Das ist für mich etwas Beruhigendes, dass da die Demokratie funktioniert. Es wird nie so sein, dass wir eine Partei finden, die zu hundert Prozent unsere Überzeugungen wiedergibt. Das kann man in der Demokratie nicht erwarten. Man muss deshalb schauen, wo die Schnittmenge so groß ist, dass man verantworten kann, dieser Partei oder dieser Kandidatin beziehungsweise diesem Kandidaten konkret die eigene Stimme zu geben.
domradio.de: Die Kirchen geben in der Regel keine direkte Wahlempfehlung ab. Wenn wir nun die Demokratie bedroht sehen - sollten die Kirchen nicht deutlichere Worte finden?
Heße: Wir machen es oft so, dass wir zum Wahlgang motivieren und sagen: Wählen ist ganz wichtig. Es ist in manchen Bundesländern doch sehr besorgniserregend, wie wenige Leute von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Wir selbst können nur die großen Themen benennen und Richtungen vorgeben. Dann muss der Einzelne prüfen, ob sich das christliche Verständnis und die Wahlaussagen der konkreten Partei entsprechen oder widersprechen. Ich finde es etwas perfide, dass die AfD bestimmte Themen bedient, aber dass sie auch in anderen Themen ziemlich konträr zu christlichen Positionen steht. Deshalb habe ich damals das mit der roten Linie gesagt.
domradio.de: Die AfD ist eine Partei, die sich sehr stark über die Flüchtlingsthematik positioniert. Wenn jetzt weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen, wird sich das Thema AfD dann erledigt haben?
Heße: Das ist sicher ein Faktor. Ich glaube, man sollte sich hüten, den Aufstieg der AfD nur auf eine Ursache zurückzuführen. Sicher ist es eine Frage, wie es quantitativ mit den Flüchtlingen weitergeht. Man muss aber auch den Faktor bedenken, dass bei uns die "Flüchtlingsqualität" recht hoch ist und wir über die integrativen Leistungen der letzten Monate in unserem Land stolz sein müssten. Das sollten wir uns nicht kaputt reden lassen. Ich bin auch der Meinung, man kann nicht nur davon leben, dass man sich gegen etwas abgrenzt, sondern man kann langfristig nur überzeugen, wenn man etwas positiv vertritt. Die Qualität setzt sich am Ende durch.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.