domradio.de: Mit welchen Problemen hat Somalia zu kämpfen?
Christian Huber (Referent für humanitäre Hilfe bei der Diakonie-Katastrophenhilfe): Aktuell haben wir am Horn von Afrika etwa 13 Millionen Menschen, die vom Hunger betroffen sind. In Somalia sind leiden davon akut rund drei Millionen Menschen unter einer Hungersnot. Man kann auch von circa 350.000 Kindern sprechen, die unter akuter Unterernährung leiden.
Gleichzeitig findet dort aufgrund der Hungersituation eine Zerstörung der Lebensgrundlagen statt. Das bedeutet, dass die fehlenden Nahrungsmittel und der Wassermangel nicht isoliert zu betrachten sind, sondern man muss schauen, wie sich diese Hungersituation auch auf die Gesundheit der Menschen, deren Lebensgrundlagen, die Schulbildung der Kinder oder auf die im Land ohnehin schon vorherrschenden Spannungen immer mehr ausweiten können.
Wir beobachten momentan, dass etwa 1,5 Millionen Menschen in Somalia aufgrund des Hungers vertrieben werden. Das heißt, sie gehen in die großen Städte und andere Regionen und sind dort mit der Bevölkerung konfrontiert, die da schon lebt.
domradio.de: Jetzt befindet sich, wie Sie sagen, Somalia in einer erneuten Hungerkatastrophe. Die letzte gab es im Jahr 2011 und es wird immer noch zu wenig für die Menschen gemacht. Was läuft da schief?
Huber: Zwischen Oktober 2010 und April 2012 sind in der Tat in Somalia 260.000 Menschen umgekommen. Jetzt hat aktuell ein sehr starkes El Nino-Phänomen das Land getroffen. Das war allerdings längst bekannt, dass dies eintreten würde. Damals, in der letzten Hungerkrise, hat man diese Anzeichen noch ignoriert. Jetzt wurden sie ernst genommen, allerdings folgte darauf keine Reaktion.
Wir haben als humanitäre Hilfsorganisation gemeinsam mit den betroffenen Staaten versucht, dieses Thema auf die Agenda zu setzen. Leider kam dann keine rasche finanzielle Zusage, mit der wir schon frühzeitig unsere Kapazitäten hätten ausbauen können. Dies beinhaltet, Brunnen zu bohren, Lebensmittel vorzuhalten oder den Zugang zu solchen Konfliktgebieten zu klären. Hier herrscht ein Konflikt, der den Menschen die Lebensgrundlagen nimmt, politische Lösungen sehr schwierig macht und uns auch kaum Möglichkeiten öffnet, Zugänge in die Krisengebiete zu erlangen.
Allerdings können wir sagen, dass wir seit dem Jahr 2011 unsere Arbeit mit den lokalen Partnern verstärkt haben und so dieses Mal einen klein wenig besseren Zugang haben und mehr Kapazitäten haben, um zu reagieren. Es ist gut zu sehen, wie das im Zusammenspiel mit unseren lokalen Partner klappt.
domradio.de: In London wird auf einer Konferenz über die Lage in Somalia beraten. Sie nehmen dabei unter anderem die Geberländer in die Pflicht. Aber nicht nur die, oder?
Huber: Bei der Konferenz in London geht es ja nicht nur um humanitäre Hilfe. Diese ist nur ein Seitenast, einer der wichtigen Teilaspekte. Aber es soll auch darum gehen, den Staat zu stabilisieren und die Situation dort längerfristig zu verbessern. Das ist ein gutes Ziel, über das wir uns auch freuen.
Es ist aber auch wichtig, dass die Geberländer noch einmal nachlegen. Deutschland hat in diesem Jahr wesentlich mehr finanziell unterstützt - unserer Meinung nach zwar etwas spät -, aber dennoch viel mehr nachgelegt, als es schon im Jahr 2011 der Fall war. Bei aller politischen Diskussion müssen wir aber schauen, dass die jetzt dringend benötigte Hilfe nicht konditionalisiert wird. Es darf keine Grundlage für die Hilfe sein. Wenn politische Prozesse angestoßen werden, darf nicht gleichzeitig humanitäre Hilfe instrumentalisiert werden, diese politischen Erfolge zu realisieren. Da muss man aufpassen.
Das Interview führte Tobias Fricke.