Studie der Böckler-Stiftung zur häuslichen Pflege

Mehr als ein Vollzeitjob

Die Pflegeversicherung soll betroffene Familien entlasten. Doch den Hauptteil der Arbeit leisten nach wie vor die Angehörigen. Pflege sei mehr als ein Vollzeitjob, hat eine Studie der Böckler-Stiftung herausgefunden.

Autor/in:
Christoph Arens
Häusliche Pflege / © Oliver Killig (dpa)
Häusliche Pflege / © Oliver Killig ( dpa )

Monatelang kümmerte sich Peter Winkler (Name geändert) um seine pflegebedürftige Mutter, kochte, half beim Waschen, stand nachts auf, fuhr sie zum Arzt. Rund um die Uhr war der arbeitslose Bürokaufmann für die zuckerkranke alte Dame da. Bis zu dem Tag, als Winkler eine Stelle fand - 150 Kilometer entfernt von seinem Heimatort im Rheinland. Innerhalb von zwei Monaten musste eine Lösung her. Ein Heimplatz kam nicht in Frage, eine deutsche 24-Stunden-Pflege war nicht finanzierbar. Wenige Wochen später zog Danuta aus Polen ins Haus ein.

Großteil der Pflege zuhause

So wie Winkler geht es vielen Familien in Deutschland. Gut 70 Prozent der 2,9 Millionen Pflegebedürftigen werden zuhause versorgt. Den Hauptteil der Arbeit übernehmen Angehörige selbst - mit enormem zeitlichen und finanziellen Aufwand, wie eine an diesem Mittwoch in Düsseldorf veröffentlichte Studie des Iso-Instituts für Sozialforschung und Sozialwirtschaft in Saarbrücken für die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung ergab.

Pflege ist oft mehr als ein Vollzeitjob: 63 Stunden in der Woche fallen im Schnitt an. Nur zehn Prozent der Arbeiten übernehmen laut Studie professionelle Dienste, alles Übrige leisten Angehörige, meist Ehefrauen oder Töchter, und in kleinerem Umfang auch informelle Helfer wie Freunde, Bekannte oder Nachbarn. Ein Drittel der Hauptpflegepersonen ist männlich - Tendenz steigend.

Etwa jeder zehnte Pflegehaushalt setzt eine Hilfskraft ein, die mit in der Wohnung lebt. Nach Schätzungen der Stiftung Warentest versorgen bis zu 300.000 Menschen aus Osteuropa, meist Frauen, Pflegebedürftige in der Bundesrepublik.

Nach Einschätzung der Böckler-Stiftung beweist die Studie, dass - trotz einiger Initiativen der Politik - die Verzahnung von Pflege und Arbeitsmarkt noch nicht gut funktioniert. Ob Pflegende die nötige Unterstützung erhalten, hänge stark vom sozialen und finanziellen Hintergrund ab, so die Stiftung. Angebote zur Pflegeberatung erreichen Pflegende aus bildungsfernen Schichten oft nicht.

Finanzielle Belastungen

Laut Studie hat rund ein Drittel der Hauptpflegepersonen im erwerbsfähigen Alter die Arbeitszeit im Job reduziert. 44 Prozent sind gar nicht erwerbstätig. "Die Pflegenden riskieren damit, im Alter selber mit wenig Geld dazustehen." Die gesetzliche Pflegezeit nutzten lediglich sechs Prozent der berufstätigen Hauptpflegepersonen.

Neben den zeitlichen Belastungen treten erhebliche finanzielle Aufwendungen, etwa für Aufwandsentschädigungen und Fahrtkosten von Helfern, Zuzahlungen für Pflegedienste, Tagespflege, Hilfsmittel und Medikamente, oder den Menüdienst auf. Im Durchschnitt aller Pflegehaushalte ermitteln die Forscher rund 360 Euro an monatlichen Ausgaben, die nicht durch sogenannte Sachleistungen der Pflegeversicherung ersetzt werden. Auch das Pflegegeld, das ein Teil der Pflegebedürftigen erhält, kann diese Kosten nur bedingt kompensieren.

Mit Blick auf die osteuropäischen Hilfskräfte betont die Studie, dass "eine den arbeitsrechtlichen Mindeststandards entsprechende Beschäftigung dieser Kräfte kaum realisierbar zu sein" scheine. Zudem sei die private Anstellung einer solchen Kraft "nur für Haushalte aus stärkeren sozioökonomischen Milieus finanzierbar". Die Wissenschaftler sehen ein Dilemma: Würde die Politik zu stärkeren Kontrollen greifen, um die Einhaltung von Mindestlohn und Arbeitszeitbestimmungen sicherzustellen, würde sich die häusliche Rundumpflege weiter verteuern und die soziale Spaltung noch verstärken.

Zielkonflikte in der Pflegepolitik

Grundsätzlich, so das Fazit der Studie, bestehen in der Pflegepolitik eine Reihe von Zielkonflikten. Einerseits sei die Vorstellung leitend, dass Pflege, wenn möglich, zuhause stattfinden soll und primär eine Aufgabe der Angehörigen darstelle. "Anderseits werden eine hohe Erwerbsbeteiligung und professionelle Pflegestandards, Chancengleichheit und gute Arbeitsbedingungen für alle angestrebt."

Die Politik müsse also die Frage beantworten, ob entweder das Leben im Heim zu einer attraktiven Alternative ausgebaut wird oder "häusliche Settings" soweit entwickelt und finanziert werden, dass sie auch bei schwerster Pflegebedürftigkeit eine umfassende Versorgung garantieren.


Quelle:
KNA