Jochen Purps ist ein gläubiger und naturverbundener Mann. Da liegt es nahe, dass der 53-Jährige aus dem brandenburgischen Bad Wilsnack gern pilgert - zumal die sogenannte Wunderblutkirche in seinem Heimatort selbst ein bedeutender Wallfahrtsort war. "Ich merke dann, dass ich zwei Füße habe und auf sie vertrauen kann", schildert der Förster seine Motivation. "Es ist erfüllend, Wege zu gehen, die weit und lang sind und unbekannt. Ich kann dort selbst mit Gott sprechen."
Pilgern im Trend
Purps steht für Zehntausende, wenn nicht Hunderttausende Menschen in Deutschland, die sich jedes Jahr auf die Pilgerwege begeben. Spätestens seit dem Bestseller "Ich bin dann mal weg", in dem Entertainer Hape Kerkeling vor gut zehn Jahren eine eigene Tour auf dem Jakobsweg beschrieb, ist Pilgern im Trend.
Während Gläubige einst zu Wallfahrtsorten pilgerten, um Heilige und deren Reliquien anzubeten oder Buße zu tun, entdecken heute auch immer mehr Menschen ohne christlichen Hintergrund diese Möglichkeit, ganz spezielle körperliche und spirituelle Erfahrungen zu machen. Viele tun das auf dem Jakobsweg, einem ganzen Netz von Pilgerrouten, die quer durch Europa nach Santiago de Compostela in Spanien führen. Dort befindet sich der Überlieferung zufolge das Grab des Apostels Jakobus - daher der Name.
Auf dem berühmten Weg, der selbst Pilger aus Amerika und Asien anzieht, kann es schon mal voll werden. "Im Vorjahr wurden in Spanien 300 000 Pilger auf diesem Weg gezählt", berichtet Jürgen Rist, der sich bei der Evangelischen Landeskirche in Württemberg um das Thema Pilgern kümmert. "Etwa ein Drittel davon waren aus Deutschland."
10 000 Kilometer Jakobsweg in Deutschland
Doch so weit muss man gar nicht reisen. "Allein in Deutschland umfasst das Netz des Jakobsweges schätzungsweise 10 000 Kilometer", sagt Hans-Jörg Bahmüller aus Winnenden bei Stuttgart. Er betreut ehrenamtlich einen Abschnitt des Pilgerweges zwischen Rothenburg ob der Tauber und Rottenburg am Neckar, kümmert sich etwa um Beschilderung und Wegepflege und gibt Pilgerführer heraus. "30 Hauptwege sind darunter, aber auch viele Verzweigungen."
Die gibt es auch im mitteldeutschen Raum: Rund um den Jakobsweg in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben sich diverse Initiativen zusammengetan, um für Pilger attraktive Routen anzubieten und für die nötige Infrastruktur zu sorgen. Wie wäre es mit dem Ökumenischen Radegundeweg, dem Weg "Auf den Spuren starker Frauen" oder dem Pilgerweg der Toleranz? Selbstredend darf im Jubiläumsjahr "500 Jahre Reformation" ein Lutherweg nicht fehlen, der auf 2000 Kilometern Orte verbindet, an denen Martin Luther wirkte oder sich einmal aufhielt.
Sich selbst näher kommen
"Die Pilger können in einfachen Herbergen oder Klöstern, bei Privatleuten oder Pfarrhäusern übernachten", schildert Kirsten von der Heiden vom Kirchenvorstand im sächsischen Pesterwitz das Pilgerprinzip. Die Quartiere sind einfach und oft kostenlos oder zumindest recht billig, bei Vorlage des Pilgerausweises bietet manches Restaurant ein Abendessen zum Sonderpreis.
Und warum Pilgern? "Ich finde innere Einkehr, kann abschalten vom Alltag, Natur fühlen und erleben", sagt Jann Stickfort aus der Lüneburger Heide. Er organisiert jedes Jahr mit Gleichgesinnten Radpilgertouren. Geistliche Impulse etwa bei Andachten und das Gemeinschaftserlebnis, die Gespräche mit anderen Pilgern unterwegs oder mit Quartiergebern möchte er ebenfalls nicht missen.
"Viele Pilger kommen aus Umbruchsituationen", sagt Experte Bahmüller. "Sie suchen nach der Trennung vom Partner, bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit oder in Orientierungskrisen einen neuen Ansatz. Und oft finden sie den auch." Junge Leute, die nach Schule oder Ausbildung nach ihrem Weg suchen, gingen ebenso auf Tour. Alle eint eine Erfahrung, sagt von der Heiden: "Beim Pilgern kommt man mit sich selbst wieder stärker in Kontakt."