"Eigentlich habe ich ja nur 4 eigene Kinder - aber an manchen Tagen sind es auch 15, 20 oder sogar 30", sagt Hany Maurice schmunzelnd. Seit über 20 Jahren kümmert sich der stets freundliche Hany in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria um Straßenkinder, die in der Rangordnung der ägyptischen Gesellschaft ganz unten stehen. Sie betteln und stehlen, um satt zu werden.
"Die Menschen haben kein Bewusstsein für diese Kinder. Wenn es nach ihnen ginge, dann sollte die Polizei sie einfach alle einsperren, und das Problem wäre beseitigt", ärgert sich der 53-Jährige. Hany geht einen anderen Weg. Er versucht, das Vertrauen der Kinder zu gewinnen und ihnen einen Weg zurück in die Gesellschaft zu weisen.
Randgruppe Straßenkinder
Um welch marginalisierte Randgruppe es sich bei den Straßenkindern handelt, verdeutlichen auch die Zahlen: Im 90-Millionen-Einwohner-Land Ägypten sind rund 45.000 Nichtregierungsorganisationen registriert. Nicht mal 20 davon sind in der einen oder anderen Form auch für Straßenkinder da.
Wie viele Straßenkinder es in Alexandria gibt? Das weiß niemand, sagt Hany. Einige tausend werden es sein; genaue Zahlen gibt es nicht. Die wenigsten Kinder sind tatsächlich Waisen. Vielmehr handelt es sich um sogenannte Sozialwaisen, ausgerissen wegen Gewalt in der Familie oder weil die Armut so groß ist, dass die Familien nicht alle hungrigen Mäuler stopfen können. Viele Ehen zerbrechen, und bei einer erneuten Heirat ist der Nachwuchs häufig im Weg und landet auf der Straße.
"Die Kinder schlafen am Strand, in Abrisshäusern oder in abgestellten Zügen, auf Parkbänken oder am Gehsteig in großen Pappkartons, immer auf der Hut vor der Polizei", berichtet Hany. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern hat er einen kleinen Bus in ein mobiles Hilfszentrum umgebaut. Im hinteren Teil gibt es eine kleine Gesundheitsstation, wo leichte Verletzungen oder Krankheiten behandelt werden können. Im vorderen Bereich hat Hany einen Aufenthaltsraum eingerichtet, wo die Kinder spielen oder sich ausruhen können. Eine Kleinigkeit zu Essen gibt es auch.
Notschlafstellen
Mit diesem Bus ist Hany täglich in Alexandria unterwegs. Er spricht schon von einem Erfolg, wenn es ihm gelingt, einige Kinder mitzunehmen in die Notschlafstelle, die er ebenfalls betreibt. Dort gibt es saubere Kleidung, eine Dusche, Essen und ein Bett. "Wenn die Kinder mal längere Zeit auf der Straße leben, dann wollen sie nicht mehr zurück in ein Haus mit Regeln", sagt Hany. Deshalb sind von den 40 Plätzen, die er in seinem Heim hat, nicht alle besetzt.
Hany ist freilich kein Einzelkämpfer. Er leitet das "Children at Risk"-Straßenkinderprojekt der Caritas in Alexandria. Mit ihm gemeinsam sind viele weitere Mitarbeiter im Einsatz. Die Religionszugehörigkeit der Straßenkinder - 99 Prozent sind Muslime - spielt für die christliche Caritas keine Rolle. Ihre Sorge gelte Menschen in Not, die sonst keine Hilfe erhalten, seien es Flüchtlinge aus Syrien oder eben einheimische Straßenkinder, sagt der örtliche Caritas-Direktor Youssef Aziz.
Schulbesuche
Einige Kinder besuchen Hanys Heim nur tageweise. Andere haben sich entschieden, ständig dort zu wohnen. Gut 20 sind es derzeit. "Die Jungen, die ich hier bei mir im Heim habe, gehen alle in die Schule. Sie haben ein stabiles Leben und eine gute Chance auf eine bessere Zukunft", sagt Hany. Manchmal gelingt es ihm auch, Kontakt mit den Familien der Kinder herzustellen und sie wieder zusammenzuführen.
Wenn ein Kind in seiner Familie gut aufgenommen wird, dann ist das ein Moment besonderen Glücks auch für Hany. Oder wenn einer seiner Schützlinge die Schule erfolgreich abschließt und einen Job findet. Einige ehemalige Straßenkinder hätten es sogar auf die Universität geschafft, sagt er stolz.