domradio.de: Wie war das, wenn Sie Helmut Kohl mit seinen Staatsgästen durch den Dom zu Speyer geführt haben? Was hat ihn denn da besonders interessiert?
Anton Schlembach (Bis zum Jahr 2007 Bischof von Speyer): Bundeskanzler Kohl hat immer größten Wert darauf gelegt, dass die Gäste ihn in seiner Heimat, in Oggersheim, besuchen und dass sie sozusagen zwei Pfälzer Elemente miterleben: Den Besuch des Speyerer Doms und das Essen von Saumagen in Deidesheim an der Weinstraße. Für ihn war der Besuch im Dom immer sehr wichtig. Er sagte immer, wer den Speyerer Dom nicht kenne, der kenne auch seine Heimat, Deutschland und Europa nicht. Deshalb waren seine Gäste geradezu verpflichtet, sich von ihm in den Dom führen zu lassen. Helmut Kohl hat auch immer wieder persönlich angerufen, wenn die Staatsgäste im Anmarsch waren und sagte dann: "Herr Bischof, hoher Besuch steht ins Haus. Ich bitte Sie, die Führung zu übernehmen." Dann haben wir die Einzelheiten besprochen.
domradio.de: Wie haben denn die Führungen im Speyerer Dom ausgesehen?
Schlembach: Die Domführung beinhaltete quasi immer dasselbe Ritual. Die öffentliche Begrüßung fand vor dem Dom statt. Er legte großen Wert darauf, dass daraus keine öffentliche Veranstaltung gemacht wurde. Dann gingen wir in den Dom hinein und haben kurz nach dem Eingang verweilt, um die Raumwirkung erleben zu können, die dieses gewaltige Bauwerk ausstrahlt. Danach sind wir nach vorne gegangen und haben uns in eine Bank gesetzt. Ich habe mich dann vor die Gäste gestellt und ihnen eine kurze Erklärung zum Dom gegeben. Ich habe ihnen die architektonisch, kunsthistorische Bedeutung des Doms erklärt. Er war ja, als er gebaut wurde, die größte Kirche der Christenheit und ist bis heute das größte romanische Bauwerk in reinster romanischer Form.
domradio.de: Bundeskanzler Kohl kam auch mit Menschen, die vielleicht nicht katholisch waren und hat gesagt, ein Besuch des Doms sei Pflichtprogramm?
Schlembach: Es spielte überhaupt keine Rolle, welche Einstellung die Gäste hatten. Er sagte, das gehöre einfach zum Programm. Wenn sie ihn besuchten, dann war das ein Pflichtpunkt des Besuches. Er sagte auch, dass zunächst nicht alle begeistert waren, als sie hörten, dass ein Dombesuch fällig ist, aber anschließend waren alle dankbar, dass sie den Speyerer Dom erleben durften.
domradio.de: Für Helmut Kohl war der Dom zu Speyer auch ein Symbol für die europäische Einheit. Warum war das so?
Schlembach: Helmut Kohl war von Kindheit an mit dem Speyerer Dom verbunden. Schon als Kind kam er mit seiner Mutter in den Dom. Als Junge ist er manchmal mit dem Fahrrad von Ludwigshafen nach Speyer gefahren und dort gab es eigentlich nichts weiter zu besichtigen als den Speyerer Dom. Er war ja auch kurz einmal in Speyer im Krieg evakuiert. Die Schüler des Kaiserdom-Gymnasiums gingen damals bei Luftangriffen in den Dom und haben dort Luftschutz gesucht. Auch als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz hat er die damaligen Reparaturarbeiten am Dom nicht nur mitverfolgt und beobachtet, sondern auch gefördert und darauf geachtet, dass der Bund seinen finanziellen Zuschuss gab. Die Verbindung hat er als Kanzler aufrechterhalten und ebenso nach seiner Kanzlerschaft. Allem voran ist dabei die europäische Stiftung des Kaiserdoms zu Speyer zu nennen, mit der eine großartige Initiative ergriffen wurde, die bis heute nachwirkt.
domradio.de: Helmut Kohl war Ihnen gut bekannt, er war ein gläubiger Katholik, der sich dem Bistum Speyer eng verbunden fühlte. Das war seine Heimat. Was für eine Rolle hat der katholische Glaube für den Politiker Kohl gespielt?
Schlembach: Er hat zwischen Politiker, Mensch und Katholik keinen großen Unterschied gemacht. Helmut Kohl war ein großartiger Mensch, ein Bilderbuch-Pfälzer und er war auch ein Katholik von Kindheit an. Er hat daraus nie einen Hehl gemacht. Er sagte: "Ich bin kein Vorzeigekatholik, aber ein liberaler Pfälzer Katholik und dazu bekenne ich mich". Das hat er in aller Öffentlichkeit getan. Und er hat eigentlich das weitergeführt und weiterentwickelt, was er in seiner Kindheit, seinem Elternhaus und in seiner Pfarrei für die kirchliche und religiöse Sozialisierung mitbekommen hat: das Gebet, der Messbesuch am Sonntag und das Bewusstsein der Verbundenheit mit Gott und der Verantwortung vor Gott. Das waren für ihn Selbstverständlichkeiten, die sein Leben getragen haben, ohne dass er da groß darauf zu sprechen kam. Aber er hat immer wieder deutlich und ausdrücklich darauf hingewiesen.
domradio.de: Haben Sie ein Beispiel?
Schlembach: Ja, zum Beispiel die Frage eines Journalisten in Berlin, Anfang Oktober 1989, kurz vor der Feier der Wiedervereinigung. Kohl wurde gefragt: "Auf was führen Sie denn das große Ereignis, das wir jetzt erleben dürfen, zurück?" Darauf sagte Helmut Kohl: "Das ist Leistung, das ist Fortune, das ist Gnade." Und er hat immer wieder betont, ohne den Herrgott könne man keine gute, menschenfreundliche Politik machen. Und ohne Gott könne man seiner Verantwortung als Mensch und als Politiker nicht gerecht werden.
domradio.de: Dass jetzt die Totenmesse für Helmut Kohl voraussichtlich im Speyerer Dom stattfinden wird, ist für Sie eine Ehrensache?
Schlembach: Ich würde sagen, ja. Das passt ganz in die Lebenslinie von Helmut Kohl hinein. Ich habe gehört, er hätte das selbst gewünscht, was ich mir sehr gut vorstellen kann. Und er war so mit dem Speyerer Dom verbunden, er war ja oft da zum Gottesdienst, nicht nur als Politiker, sondern auch als Katholik und als gläubiger Mensch. Er hat mitgefeiert und ich hab ihn immer begrüßt, wenn ich ihn sah. Oft kam er ohne jede Voranmeldung und ohne jeden Begleitschutz. Und es war jedes Mal eine Freude, wenn er dabei war und seine Verbundenheit gegenüber der Diözese und der Bischofsstadt zum Ausdruck gebracht hat.
Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.
Information der Redaktion: Im Dom zu Speyer liegt ein Kondolenzbuch für den verstorbenen Altbundeskanzler Helmut Kohl aus. Besucher der romanischen Kathedrale können darin persönlich Abschied nehmen und ihre Trauer in Worte fassen, wie das Bistum Speyer mitteilte. (epd).