Immer mehr künftigen Rentnern droht nach einer aktuellen Studie der Absturz in die Armut. Das deutsche Rentensystem sei nicht ausreichend vorbereitet auf die steigende Zahl von Menschen mit flexiblen Arbeitsverhältnissen und geringen Einkommen, warnte die Bertelsmann Stiftung am Montag in Gütersloh bei der Vorstellung ihrer Studie über die Entwicklung von Altersarmut. Demnach steigt das Risiko der Altersarmut bis 2036 auf 20 Prozent. Im Jahr 2015 waren es 16 Prozent der Rentner. Damit wäre zukünftig jeder fünfte deutsche Neu-Ruheständler ab 67 Jahren von Altersarmut bedroht.
Zugleich wird nach Prognosen der Studie die Grundsicherungsquote steigen. Bis zum Jahr 2036 könnten dann sieben Prozent der Neurentner auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, hieß es. 2015 waren es 5,4 Prozent. Als armutsgefährdet gelten laut Studie Rentner mit einem monatlichen Netto-Einkommen unter 958 Euro.
Hohes Risiko für Alleinerziehende
Am stärksten von Armut bedroht sind der Studie zufolge allein stehende Frauen, Menschen ohne Berufsausbildung und Langzeitarbeitslose. Viele der aktuell diskutieren Reformvorschläge könnten den Trend steigender Altersarmut nicht umkehren, erklärten die Autoren. Reformen müssten stärker die Risikogruppen, die veränderten Erwerbsbiografien und die Situation an den Kapitalmärkten in den Blick nehmen. Nötig seien flexiblere und sichere Übergänge im Erwerbsverlauf sowie eine verbesserte Arbeitsmarktintegration für Risikogruppen. Zugleich müsse das Alterssicherungssystem weniger krisenanfällig gestaltet werden.
Wenn die Babyboomer-Generation ab dem Jahr 2022 in den Ruhestand gehe, könne es "zu einem bösen Erwachen kommen", erklärte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung, Aart De Geus. Das Alterssicherungssystem müsse den veränderten Rahmenbedingungen der Arbeitswelt angepasst werden. Die zum Ausgleich geschaffenen Instrumente der privaten Altersvorsorge könnten bisher keine flächendeckende Wirkung entfalten.
Was tun, wenn das Gehalt schon niedrig ist?
Laut Studie kann künftig fast jede dritte alleinerziehende Neurentnerin auf Grundsicherung angewiesen sein. Für diese Personengruppe steige die Grundsicherungsquote von 2015 bis 2036 von 16 auf fast 28 Prozent. Damit sei das Risiko zur Altersarmut bei diesen Frauen rund viermal so hoch wie im Durchschnitt.
"Diskussionen um eine Stabilisierung des Rentenniveaus helfen Risikogruppen nicht weiter, die schon während ihrer Berufsjahre nur schlecht von ihrem Gehalt leben können", sagte der Bertelsmann-Arbeitsmarktexperte Christof Schiller. Die Untersuchung erstellt Prognosen der Rentenentwicklung bis 2036 auf Grundlage von repräsentativen Haushaltsdaten. Die Berechnungen erstellen das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
Mindestrente gefordert
Zur Bekämpfung des Armutsrisikos von Rentnern fordert die Diakonie Deutschland eine Mindestrente. Jahrelange Erwerbsarbeit dürfe nicht der einzige Maßstab für ein Leben in Würde sein, sagte Diakonie-Vorstand Maria Loheide am Montag in Berlin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Deshalb trete die Diakonie für eine Mindestrente ein, die lediglich 30 Beitragsjahre voraussetzt und höher sein sollte als die Grundsicherung. Dazu sollten bis zu zehn Jahren Kindererziehungs- oder Pflegezeiten angerechnet werden. Bislang gibt es in Deutschland keine Mindestrente, sondern lediglich eine Grundsicherung im Alter.
Die Diakonie sprach sich zudem dafür aus, dass bei der Grundsicherung Freibeträge für die eigene Vorsorge berücksichtigt werden sollten. Zudem sollten Mindestlöhne so berechnet sein, dass sie existenzsichernd seien. Fehlanreize im Familienlastenausgleich, die ein Haupternährermodell begünstigen, sollten abgeschafft werden.
Der Handlungsbedarf zur Verhinderung von Altersarmut sei offenkundig, sagte Loheide: "Geringverdienende Erwerbstätige sind die armen Rentnerinnen und Rentner von morgen." Lücken in der Erwerbsbiografie führten zu niedrigen Renten. "Wer längere Zeit erwerbslos ist, wegen Pflege und Erziehung zu Hause bleibt oder prekär beschäftigt ist, kann keine existenzsichernde Rente erreichen", sagte Loheide. Besonders gefährdet seien Alleinerziehende. 40 Prozent von ihnen bezögen Grundsicherung und hätten keine Chance, zusätzlich für das Alter vorzusorgen.