domradio.de: Noch ist die Sache für Dogan Akhanli nicht ausgestanden. Es wird damit gerechnet, dass die Türkei in den nächsten Wochen den Auslieferungsantrag stellt. Frau Akgün, wie wird diese Sache ausgehen?
Dr. Lale Akgün (Kölner SPD-Politikerin): Ich weiß es nicht. Ich weiß es deshalb nicht, weil ich die Denkart von Erdogan für sehr gefährlich halte. Er denkt nicht politisch, sondern es geht ihm darum, Recht zu behalten. Ich kann mir vorstellen, dass seine Staatsanwälte wieder hanebüchene Dinge hervorbringen, um Akhanli doch wieder festnehmen zu können.
domradio.de: Die Türkei hat ihn über Interpol suchen lassen: 1989 soll er an einem Raubüberfall beteiligt gewesen sein. Akhanli war aber damals nachweislich nicht am Ort des Verbrechens. Er sagt selber, er habe kritisch über die türkische Politik und Geschichte geschrieben. Die Türkei möchte ihn zum Schweigen bringen. Haben wir es hier mit einem ähnlichen Fall wie Deniz Yücel oder Peter Steudtner zu tun?
Akgün: Auf jeden Fall. Und Akhanli ist eigentlich gefährlicher als die beiden anderen, weil er immer wieder über die Armenier-Frage recherchiert und schreibt. Er ist somit den türkischen Behörden schon lange ein Dorn im Auge. Sie wollen ihn auf jeden Fall zum Schweigen bringen und letztendlich auch Deutschland zeigen: Du kannst niemanden schützen. Da ist immer der Gedanke dahinter: Wir sind stark, wir kriegen, was wir wollen.
domradio.de: Sind kritische Journalisten, Menschenrechtsaktivisten oder Autoren wie im Fall von Akhanli in Ländern wie Deutschland oder Spanien in Sicherheit?
Akgün: Sie sind nie in Sicherheit. Sie sind immer Kränkungen, Drohungen oder Beleidigungen ausgesetzt. Interpol müsste sich ändern, weil die Staatsanwälte von Erdogan schreiben, was sie wollen. Wie will man dagegen vorgehen, wenn man erstmal von Interpol gesucht wird? Ich glaube, da müssen sich Deutschland und die EU Gedanken machen, wie in Zukunft mit solchen Gesuchen aus solchen diktatorischen Ländern umgegangen wird.
domradio.de: Außenminister Gabriel hat sich eingeschaltet und pocht darauf, dass deutsche Diplomaten Einblick in das Verfahren bekommen. Erdogan dagegen verbittet sich jegliche Einmischung. Wie kann sich das deutsch-türkische Verhältnis wieder erholen?
Akgün: Das ist eine schwierige Frage. Akhanli ist deutscher Staatsbürger. Erdogan verbittet sich die Einmischung nur, weil er mal türkischer Staatsbürger gewesen ist. Ich sehe große Schwierigkeiten in der Beziehung, denn langsam nimmt der Zustand in der Türkei Formen an, die nicht mehr akzebtabel sind. Und wenn man das ausspricht, wird es noch schwieriger. Hinzu kommt, dass drei Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland leben. Rund die Hälfte jubelt Erdogan zu – auch das ist ein Problem, über das wir nachdenken müssen. Man will ja die Menschen hier nicht ausgrenzen.
Auf der anderen Seite muss man auch ihnen deutlich sagen, dass sie dem Falschen zujubeln. Das sage ich, obwohl ich für politische Pluralität bin, aber Erdogan ist definitiv ein Diktator und wir müssen ihn in seine Schranken zurückweisen. Und das ist etwas, was das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei in Schieflage bringen wird.
Das Gespräch führte Tobias Fricke.