Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ist vielen Menschen durch Notfallsanitäter und Rettungswagen ein Begriff. Weniger bekannt ist, dass die Hilfsorganisation auch einen der professionellsten Suchdienste für Vermisste betreibt: 190 nationale Gesellschaften bilden ein weltumspannendes Netzwerk.
Zum Internationalen Tag der Vermissten (30. August) hat das DRK am Dienstag in Berlin Bilanz gezogen. Zwischen Januar und Juli wurden demnach 4.193 Anfragen zu Vermissten des Zweiten Weltkriegs und 1.189 aktuelle Gesuche gestellt. Soweit die nackten Zahlen. "Dahinter verbergen sich menschliche Schicksale, die einem ans Herz gehen", sagt DRK-Präsident Rudolf Seiters.
Bruder und Schwester finden sich wieder
Eines dieser Schicksale teilen Christel Ehrich und ihr Bruder Günter Pelekies. Nach 72 Jahren Ungewissheit trafen sich die Geschwister durch Vermittlung des DRK-Suchdienstes im April wieder. 1944 musste die heute 79-jährige Christel Ehrich, die damals ebenfalls Pelekies hieß, mit ihrer Familie aus der Stadt Memel im heutigen Litauen fliehen. "Mein Bruder war damals in einem Kinderheim untergebracht", erinnert sie sich. "Es hieß dann immer, dass das Heim bombardiert wurde und alle darin ums Leben kamen." Ehrich landete in Grimmen in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie bis heute lebt. "Ich habe dann schnell geheiratet und eine Familie gegründet", sagt sie.
Ihr Bruder Günter starb entgegen der Berichte nicht im Bombenhagel. Von Geburt an gesundheitlich angeschlagen, verbrachte er seine Kindheit in Heimen, Krankenhäusern und Pflegefamilien. "Ich war ein Mensch ohne Wurzeln", sagt er. Die Frage nach seiner Identität beschäftigte den 74-jährigen ständig. Im sächsischen Glauchau wurde die Suche nach der eigenen Vergangenheit in DDR-Zeiten allerdings schwieriger: "Viele Türen waren verschlossen", sagt Peleiski, wie ihn die Behörden umbenannten. Der Durchbruch gelang, nachdem er sich 2013 beim DRK-Suchdienst meldete. Mit akribischer Archivarbeit konnten die Geschwister schließlich zusammengeführt werden.
Suchdienst läuft nur noch sechs Jahre
Die Trennung der Familie Pelekies währte länger, als es den DRK-Suchdienst überhaupt gibt. Im Juli feierte dieser sein 70. Jubiläum. Noch bis in das Jahr 2023 werden die Mitarbeiter den Vermissten des Zweiten Weltkrieges nachspüren - dann läuft die Finanzierung durch das Bundesinnenministerium aus. "Damit sind wir zufrieden", sagt Seiters. "Es hätte auch schlimmer kommen können." So ist ein Abschluss der begonnenen Arbeiten möglich. Seiters mahnt aber auch: "Wer jetzt noch eine Anfrage hat, sollte sie bald stellen." Für die Weiterarbeit über die auslaufenden Mittel hinaus sind die Vermissten-Karteien bereits digitalisiert worden.
Mittlerweile hat sich der Fokus der Sucher auf Vermisste aus aktuellen Bürgerkriegen und Migrationen verlagert. «Das Verschwinden von Migranten ist ein globales Phänomen mit sehr hohen Dunkelziffern», sagt Martin Schüepp, Regionaldirektor beim Internationalen Komitee des Roten Kreuzes. Im vergangenen Jahr wandte sich fast eine Million Menschen hilfesuchend an die internationalen Büros der Organisation. "Heute gibt es mehr Flüchtlinge denn je seit 1945", sagt Schüepp. Das Menschliche müsse dabei immer im Mittelpunkt stehen: "Die Aufklärung des Schicksals Vermisster ist ein humanitärer Akt." Es gehe nicht nur darum, Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
"Trace the Face": Online nach Vermissten suchen
Bei der Suche kommen mittlerweile nicht mehr nur Karteikarten, sondern auch modernste Techniken zum Einsatz. Das Online-Projekt "Trace the Face" arbeitet etwa mit komplexen Algorithmen und Gesichtserkennungssoftware. Suchende ab 15 Jahren können dort ein Bild von sich und Informationen hinterlegen, um besser gefunden werden zu können. Im letzten Jahr konnten weltweit die Aufenthaltsorte von 4.751 Personen geklärt werden - auch mit Hilfe von "Trace the Face". 72 Jahre wie im Fall der Familie Pelekies soll die Suche in Zukunft mit Hilfe der modernen Technologie nicht mehr dauern.