domradio.de: Ist es für einen gläubigen Katholiken vertretbar, Trump zu wählen?
Addie Mena (katholische Journalistin): Das ist eine schwere Frage, bei der ich gerne auf die Richtlinien der US-Bischofskonferenz verweise. Vor der Wahl haben Sie ein elf- oder zwölfseitiges Dokument dazu veröffentlicht, das die Gläubigen darin berät, wie sie ihrem Gewissen bei der Wahl folgen sollten. Die Bischöfe wissen, dass in der Regel keine Partei die perfekte Wahl für einen Katholiken ist. Wenn wir die verschiedenen Streitpunkte betrachten, könne ein Christ aber nicht für jemanden stimmen, der nach der Kirche einen von Grund auf "bösen" Standpunkt vertritt. Man darf das aber auch nicht an einem einzigen Punkt aufhängen. Es gibt verschiedene Argumente für und gegen jede Partei. Das Dokument der Bischöfe hat vor der Wahl deshalb viel Aufmerksamkeit bekommen und sollte gerade jetzt, vor den Midterm-Elections nächstes Jahr vielleicht noch mal zu Rate gezogen werden.
domradio.de: Spielt das Thema Abtreibung dabei eine so große Rolle, wie es oft erscheint?
Mena: Das ist definitiv ein großes Thema, wenn man die Zahl der Abtreibungen bedenkt, die es bei uns Jahr für Jahr gibt. Die Bischöfe sprechen dieses Thema oft als großes Problem an, dass unser Land spaltet. In den Vereinigten Staaten gibt es pro Jahr mehr als eine Million Abtreibungen. Im Gegensatz zu vielen Ländern in Europa sind unsere Regelungen da auch viel lockerer. In Amerika kann weit bis ins dritte Trimester der Schwangerschaft abgetrieben werden, und auch noch später gibt es jede Menge Gesetzeslücken, die einen Schwangerschaftsabbruch ermöglichen. Das ist eine Industrie, in der auch viel Geld steckt. Es ist also definitiv ein großes Problem für unser Land. Es ist aber auch hier bei weitem nicht die einzige Frage, die Katholiken abwägen sollten, wenn sie an die Wahlurne treten.
domradio.de: Christen müssen also nicht zwangsläufig die Republikaner wählen?
Mena: Das würde ich nicht so sagen. Das ist ein Standpunkt, den man oft hört in christlichen Kreisen bei uns im Land. Das hat auch viel zu tun mit den gesetzlichen Regelungen der letzten demokratischen Regierung, die Druck auf die Kirchen ausgeübt hat. Aber das ist, wie gesagt, nur ein Standpunkt. Die katholischen Bischöfe haben dem vehement widersprochen. Man muss als Christ nicht Republikaner wählen. Es gibt sicher auch andere, absolut legitime Gründe als Christ demokratische oder unabhängige Kandidaten zu wählen. Für die Katholiken gibt es verschiedene wichtige Diskussionspunkte, die zur politischen Meinungsbildung führen, das kann man nicht von einer Partei abhängig machen. Jeder von uns muss seinem Gewissen folgen und alle Argumente abwägen und dann seine Entscheidung fällen..
domradio.de: Welchen Einfluss haben die Katholiken auf die Politik in Washington?
Mena: Da sind die Katholiken relativ breit aufgestellt. Auf der einen Seite gibt es die Bischofskonferenz, die als Führer und Lehrer der Kirche sprechen. Die Bischöfe äußern sich in der Regel sehr meinungsstark, wenn es um Themen des Glaubens und der Moral geht, auch im aktuellen politischen Diskurs. Dabei sind sie eine der wenigen öffentlichen Einrichtungen, die auf diese Art und Weise Stellung bezieht. Das merkt man bei der aktuellen Debatte um Charlottesville, aber auch bei Fragen wie Rassismus, Einwanderung, Lebensschutz oder dem Gesundheitssystem. Das ist die eine Seite. Auf der anderen gibt es viele gläubige Katholiken, die in der Trump-Regierung aktiv sind. Genau so gibt es in der Opposition aktive Katholiken. Die verschiedenen caritativen Einrichtungen der Kirche haben auch deutlich gegen Trumps Einwanderungspolitik Stellung bezogen, natürlich insbesondere die, die in der Flüchtlingsarbeit aktiv sind. Es gibt also ein breites Spektrum, wenn es um den Einfluss der Katholiken in der Politik geht.
domradio.de: Wie sieht das katholische Element in Trumps Regierung aus?
Mena: Es gibt, oder gab, viele aktive Katholiken im Weißen Haus, zum Beispiel Ex-Regierungssprecher Sean Spicer, Ex-Strategist Steve Bannon oder die Beraterin Kellyanne Conway. Nach allem was wir wissen und nach Aussagen ihrer Bekannten, nehmen diese Personen ihren Glauben ernst. Oftmals werden oder wurden sie in der Werktagsmesse oder bei der Beichte gesehen. Auch in ihren eigenen Gemeinden sind sie aktiv. Sie und andere sind also aktive Katholiken und sollten mehr oder weniger wissen, was die Kirche lehrt. Offensichtlich haben einige von ihren aber andere Interpretationen der Lehre als zum Beispiel die Bischöfe in den USA. Ihren Glauben nehmen sie aber wohl ernst, sie sprechen auch über ihre Politik und begründen sie mit ihren religiösen Überzeugungen. Das ist etwas Neues, dass wir in den letzten Regierungen so nicht gesehen haben.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.