domradio.de: Es sind ja wirklich ganz unterschiedliche Stationen, die Sie bereist haben: Sozialarbeit in Indien, Studium in Dublin, gelebt haben Sie in New York, Innsbruck und München, waren Leiter des Priesterseminars. Und jetzt sind Sie verantwortlich für die Kunststation St. Peter. Wie sind sie denn zur Kunst bekommen?
Pater Stephan Kessler: Kunst begleitet mich natürlich schon mein Leben lang - vom Elternhaus bis zum Studium. Aber es war nie mein Beruf, es war immer Hobby. Aber auch für mich war vor allem die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Kunst, mit der Kunst zu leben und auch von der modernen Kunst her zu lernen, wie sie die Zeit sieht, interessant. Kunst legt manchmal den Finger genau auf die wunden Stellen, aber auch auf die tollen Stellen. Das fand ich immer interessant. Nach einer Arbeit im Priesterseminar und im akademischen universitären Milieu hatte ich meinem Ordensoberen, dem Provinzial, gesagt, ich würde gerne mal etwas richtig Normales in der Seelsorge machen. Dann kam Köln, St. Peter, und ich habe gedacht, darauf freue ich mich.
domradio.de: Da freut sich der Kölner, wenn er als normal bezeichnet wird. Normalerweise sagt man etwas anderes über die Kölner...
Kessler: Der Einstieg in Köln ist natürlich in einer Stadt, die ein unglaubliches kulturelles, historisches Erbe hat, aber auch ganz lebendig, ganz vital ist, recht einfach. Es ist kein Museum. Köln, sage ich manchmal denen, die mich besuchen, ist gar keine so schöne Stadt im Sinne einer einheitlich schönen Stadt. Aber sie hat unglaublich viel Schönes, sie hat schöne Ecken, schöne Leute. Und die Kommunikation der Rheinländer macht es einem echt leicht. Man will manchmal gar nichts sagen und ist schon in ein Gespräch verwickelt.
domradio.de: Und rund um den Dom kann man einfach ja nur Staunen, oder?
Kessler: Rund um den Dom besteht ja auch eine ganz offene Begegnungsfläche, ein wirklicher Marktplatz, eine Agora, wo sich die Welt begegnet. Wenn man hier mal eine Viertelstunde Platz nimmt, dann sieht man unglaublich viel aus unserer Welt, unserer Gesellschaft, von den schönen Dingen, aber auch von den Herausforderungen. Ich finde, das macht Köln interessant, und das hat für uns als Jesuitenorden eben auch die Pfarrei und Kunststation St. Peter zu einem ganz besonderen Ort werden lassen, wo das Zeitgenössische das Thema ist. Wir haben als Christen und als Kirche eben auch ein großes Erbe, eine riesige Geschichte, eine tolle Verkündigung, aber es geht immer ums Jetzt. Darauf habe ich mit dieser lebendigen Gemeinde und mit der Gemeinde der Kunst und der Musik Spaß.
domradio.de: Sie sind zu den Jesuiten gegangen, weil Sie, während Sie in Indien das Soziale Jahr absolviert haben, dort Jesuiten kennengelernt haben. Was war ausschlaggebend, dass Sie gesagt haben, Sie wollen Jesuit werden?
Kessler: Ausschlaggebend war vielleicht die Glaubhaftigkeit eines Menschen, den ich in diesem Sozialprojekt kennenlernte, von dem ich gar nicht wusste, dass er Jesuit war. Aber was mir gefiel, war, ein geistlich fundierter Mensch zu sein, ein Christ, ein Priester und gleichzeitig auch sozial engagiert zu sein und persönlich im Gespräch zu sein. Und der konnte nachdenken, der konnte sprechen und der konnte als Person glaubwürdig sein.
Diese drei Dinge haben mich fasziniert. Ich dachte, eigentlich will ich auch so etwas werden. Eigentlich suchte ich einen Weg, wie ich die Botschaft des Evangeliums, die ich für lebensrelevant halte und wovon man auch heute noch lernen kann, in mein Leben einbeziehen kann. Das hat mich irgendwie indirekt bewegt. Das habe ich gar nicht so bewusst vor Augen gehabt.
domradio.de: Sie sind gar nicht überaus fromm aufgewachsen. Sie haben einmal gesagt, wenn in der Kinderzeit in der Kapelle bei Ihnen im Dorf Andacht war, da durften die Kinder draußen spielen. Das heißt, immer wenn gebetet wurde, konnten Sie machen, was Sie wollen. Hat Sie das geprägt?
Kessler: Das war vielleicht ein bisschen differenzierter und anders. Man musste als Kind um 19 Uhr in einer dörflichen Jugend - ich bin Jahrgang 59 und habe in den 1960er Jahren meine Kindheit im dörflichen Kontext des Saarlandes verbracht - zu Hause sein. Im Monat Mai waren Maiandachten am anderen Ende der Ortschaft in einer kleinen Kapelle. Und da zogen eben die Leute hin. Meine Eltern - nicht engagiert im kirchlichen Milieu und Bereich - haben uns aber erlaubt, als Kinder mitzugehen und dabei zu sein.
So hat sich für mich bis heute Religion nicht mit Zwang, Druck und einem Muss, sondern mit Freiheit und mit diesem interessanten Gang an diese Waldkapelle mit Musik entwickelt. Die Kapelle war mit 15 betenden Frauen schon längst besetzt bis wir kamen. Aber da konnte man draußen im Wald spielen und es war eine fromme, spielerische und freie Atmosphäre.
So habe ich Religion in meiner Kindheit und Jugend immer kennengelernt. Als junger Erwachsener habe ich mich dann auch ein stückweit distanziert und habe so meine eigenen Weltsichten gefunden. Ich bin durch die Begegnung mit den Religionen in Indien und den sozialen Fragen der Welt auch wieder religiöser geworden.
domradio.de: Sie haben ganz viele Menschen begleitet, die ins Priesterseminar gekommen sind. Sie haben es in St. Georgen geleitet. Eine Herausforderung war ja auch, dass immer weniger Männer Priester werden wollen. Was spricht dagegen, dass Frauen da mitmachen können?
Kessler: Dagegen, dass Frauen Priester werden, spricht in der römisch-katholischen Kirche und Tradition das Kirchenrecht. Das ist aber eine rechtliche Norm, über die in der Kirche auch weiter nachgedacht werden muss. Natürlich ist es Tradition der katholischen Kirche, dass der priesterliche Dienst und der apostolische Dienst Männern anvertraut wurden. Aber ob das heute noch so sein muss, ist nicht nur eine Frage von Frauen, es ist auch eine Frage in der Kirche. Es spricht nichts dagegen, dass Frauen Priester sind in der Kirche, weil der priesterliche Dienst ja nicht nur allein das Weiheamt ist. Aber auch das muss in der Kirche und in der Gesellschaft, in der wir heute in vielem gleichrangig und gleichwertig leben, neu bedacht werden.
Wenn Sie mich so ganz spontan fragen, würde ich sagen, dass ist nicht die erste Frage der Kirche. Die Frauenordination, also das Weihen von Frauen zu Priestern, wird nicht die großen Fragen der Verweltlichung und Säkularisierung lösen. Aber es ist eine ganz entscheidende Frage, dass die katholische Kirche in ihrer Tradition die Hälfte der Menschheit und auch die für den religiösen Transfer wohl wichtigsten Teil der Menschheit ausschließt, amtlich die Sendung der Kirche als Priester wahrzunehmen.
Jetzt bin ich nicht der Papst und die Kirche ist auch immer eine Weltkirche. Es gibt viele Gesellschaften, in Pakistan oder Indien, da ist es auch manchmal unvorstellbar, dass Frauen solche öffentlichen Rollen im kultischen Bereich wahrnehmen, aber auch dahin muss gearbeitet werden.
Wir sind als Frauen und Männer Kinder Gottes und auch gleichwertig und gleichrangig nach dem Bild Gottes beschaffen, wie es die Bibel in ihrem ersten Buch Genesis sagt. Auf lange Sicht wird die katholische Kirche an der erneuten Auseinandersetzung mit dieser Frage überhaupt nicht vorbeikommen. Aber ich würde sagen, die Würde der Frau hängt nicht allein daran, ob sie den priesterlichen Dienst als Geweihte wahrnimmt. Die Frage ist, ob es uns Männern und Frauen gelingt, unsere taufpriesterliche Würde, unser gemeinsames Priestertum, wirklich - wie es auch die evangelischen Kirchen uns vorleben - in die Tat umzusetzen und ins Leben umzusetzen.
Das Interview führte Silvia Ochlast.