Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki nannte das Wahlergebnis eine "Zäsur, fußend auf Vertrauensverlust", mit der einige Grundsatzfragen einhergingen: "Wie verhindern wir ein Auseinanderdriften der Gesellschaft? Was sind die Herausforderungen in unserer Demokratie? Wie bleiben wir dialogfähig?" Diesen Sachfragen müssten sich die Parteien vorbehaltlos stellen, wenn sie in Sondierungsgesprächen Koalitionen verhandeln, forderte der Erzbischof am Montag nach der Wahl in Köln.
"Die Antwort auf Vertrauensverlust ist die Übernahme von Verantwortung für die Zukunft. Wir leben in unserem Land aus der gestaltenden Kraft des Christentums." Die Kirche sei bereit, so Woelki, die Kraft des christlichen Zeugnisses einzubringen in die Gestaltung der aktuellen Aufgaben. "Wir werden weiterhin und notfalls deutlicher vernehmbar unsere Stimme erheben, wenn wir Gerechtigkeit, Menschenwürde, Frieden oder Schöpfung in Gefahr sehen."
Marx: "Bei Gott gelten andere Gesetze"
Nach dem Einzug der AfD in den Bundestag hat der Münchner Kardinal Reinhard Marx vor wachsendem Nationalismus gewarnt. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz mit Sitz in Bonn erklärte am Montag, man dürfe sich nicht "von den neuen Versuchungen verführen lassen, die in Europa, auch in unserem Land, wieder beginnen: 'Unsere Nation zuerst! Wir zuerst!'" So habe jeder Krieg begonnen. Christen müssten Vorreiter des Miteinanders sein, denn vor Gott zähle nicht, woher man komme, sondern wer man sei. Christen sollten Werkzeug für den Frieden sein.
"Bei Gott gelten andere Gesetze", sagte Marx. "Da gilt nicht das Gesetz: Wir zuerst. Unsere Nation ist größer und stärker und mächtiger, und wir sind mehr wert als andere." Daher sei es egal, woher jemand komme, welche Sprache er spreche, welche Hautfarbe er habe. Bei der Frage, was ein Mensch wert sei, zähle nicht, was er leiste, wie viel Geld er habe, welche Hautfarbe oder Nationalität er habe, "sondern da zählt nur dein Herz", betonte der Erzbischof.
Gesteigerte Hoffnungslosigkeit
Bei der Bundestagswahl am Sonntag erhielt die rechtspopulistische AfD nach vorläufigem amtlichen Endergebnis 12,6 Prozent der Zweitstimmen und gewann drei Direktmandate.
Im neuen Parlament wird sie mit 94 Abgeordneten die drittstärkste Kraft sein. CDU/CSU kamen zusammen auf 33 Prozent, die SPD auf 20,5 die FDP auf 10,7 die Linke auf 9,2 und die Grünen auf 8,9 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag diesmal bei 76,2 Prozent im Vergleich zu 71,5 Prozent im Jahr 2013.
Ein Erfolg für die Demokratie?
Der Erzbischof von Berlin, Dr. Heiner Koch, sieht im Ergebnis der Bundestagswahl, vor allem im Osten Deutschlands, die Angst einer zunehmenden Zahl von Menschen vor Umbrüchen. "Die Digitalisierung erleben sie als Gefahr für ihre Arbeitsplätze und die zu uns kommenden Flüchtlinge und Migranten als Bedrohung ihrer Heimat. Der Wegzug vieler junger Menschen steigert die Hoffnungslosigkeit", so Erzbischof Koch.
Das Wahlergebnis zeige mit Blick auf Ostdeutschland auch, dass die religiöse Heimatlosigkeit der meisten Menschen oft ihre kulturelle Obdachlosigkeit verstärke. Auch für die Kirche sei das Ergebnis der Bundestagswahl eine große Herausforderung. "Wir dürfen nicht nachlassen im demokratischen Ringen um ein gedeihliches Miteinander."
"Diese Wahl ist ein Erfolg der Demokraten in Deutschland", so reagierte Erzbischof Stefan Heße auf die Ergebnisse der Bundestagswahl. Die hohe Wahlbeteiligung von mehr als 70 Prozent zeige, dass die Verfassung der deutschen Demokratie solide sei. "Ich hoffe für die neue Legislaturperiode auf eine gute und konstruktive politische Kultur", so Heße. Wichtig sei nun, dass es in den anstehenden Parteiengesprächen gelinge, auch eine stabile und handlungsfähige Regierung zu bilden.
"Weckruf für alle"
Der Erzbischof von Hamburg wünsche sich eine Regierung, "die die Zukunftsthemen unseres Landes mutig angeht. Aus meiner christlichen Perspektive müssen soziale Gerechtigkeit und die Integration der Menschen, die zu uns kommen, einen festen Platz auf der politischen Agenda haben."
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, sprach im domradio.de-Interview von einem "bitteren Abend" und ergänzte: "Man muss bedenken, wir sind in einem europäischen Gleichschritt: In fast allen Ländern gibt es solch rechtsradikale Parteien. Es bleibt festzustellen: 87 Prozent der Deutschen haben die AfD nicht gewählt."
"Das Maß der Unterstützung für eine junge rechtspopulistische Partei ist ein Weckruf für alle, denen das friedliche und solidarische Miteinander in einem weltoffenen Deutschland am Herzen liegt", sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, am Montag in Hannover. Nun müssten alle zusammenstehen, "damit ausgrenzende und hasserfüllte Stimmen nicht das Leben in unserem Land vergiften". Es bleibe abzuwarten, ob die AfD zu rechtsradikalen Kräften in der Partei eine Trennlinie ziehe.
Görlitzer Bischof Ipolt: Protestwähler sind unverantwortlich
Der katholische Görlitzer Bischof Wolfgang Ipolt hält es für "unverantwortlich", Wahlen als Protest zu benutzen. Das sei "einer wirklichen demokratischen Kultur nicht angemessen", sagte Ipolt am Montag. "Die AfD verbreitet Ängste, die ich für irrational und schädlich für die europäische Einigung halte", so der Bischof des Bistums Görlitz.
Ipolt betonte, gerade in der ostdeutschen Grenzregion komme es darauf an, "mit unseren Nachbarn in Europa gemeinsam die Einheit unseres Kontinents zu gestalten und sich nicht abzuschotten oder gar Grenzen zu schließen". Er hoffe, dass "die Menschen in der kommenden Legislaturperiode manches etwas differenzierter sehen lernen". Zudem wünsche er sich mehr überzeugte katholische und evangelische Christen, die bereit seien, politische Verantwortung zu übernehmen.
"Das wahre Gesicht der AfD enthüllen"
Der Zentralrat der Juden in Deutschland sieht den Bundestag angesichts des Wahlergebnisses für die AfD vor der größten demokratischen Herausforderung seit 1949. "Leider sind unsere Befürchtungen wahr geworden: Eine Partei, die rechtsextremes Gedankengut in ihren Reihen duldet und gegen Minderheiten in unserem Land hetzt, ist jetzt nicht nur in fast allen Länderparlamenten, sondern auch im Bundestag vertreten", erklärte Zentralrats-Präsident Josef Schuster am Sonntagabend in Berlin.
"Ich erwarte von unseren demokratischen Kräften, dass sie das wahre Gesicht der AfD enthüllen und die leeren, populistischen Versprechen der Partei entlarven", so Schuster weiter. "Ein Ziel sollte alle demokratischen Parteien vereinen: Den Wählern zu verdeutlichen, dass die AfD keine Alternative ist, damit sie dort landet, wo sie hingehört – unter der Fünf-Prozent-Hürde!"
Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, nennt das starke Abschneiden der AfD bei der Bundestagswahl einen "wahr gewordenen Alptraum". "Erstmals wird eine rechtsextreme Partei fraktionsstark im Bundestag vertreten sein", sagte Kobloch am Sonntagabend in München.
Mit der AfD zögen unter anderem Ausgrenzung, völkischer Nationalismus, Holocaust-Leugnung, Antisemitismus, und Religionsfeindlichkeit in den Bundestag ein. "Parteiprogramm und Kandidatenlisten zeigen: Sie sind wieder da, die Ungeister, die Hass und Verachtung schüren", sagte die 84 Jahre alte Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, die im Jüdischen Weltkongress als Beauftragte für das Gedenken an den Holocaust fungiert.
"Wir werden uns mit der AfD nicht an einen Tisch setzen"
Die muslimische Gemeinschaft in Deutschland ist nach dem Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, über den Einzug der Rechtsradikalen und auch der Sympathisanten stark verunsichert und verängstigt. "Wir haben den Fehler gemacht, dass krude und menschenverachtende Weltbild, was hinter diesen Aussagen steckt, nicht kritisiert haben, sondern immer nur entlang einer Entrüstung und einer ganz bewussten Inszenierung der AfD diskutiert haben.", so Mazyek im domradio.de-Interview.
Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, forderte: "Wir müssen deutlich machen, dass eine vielfältige und offene Gesellschaft keine Belastung ist, die durch Zuwanderung entsteht, sondern vielmehr eine Chance, um überkommene Verfahrensweisen und Systeme mutig zu überdenken und Chancengleichheit aller in Deutschland lebenden Menschen zu ermöglichen."
Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma sieht im Bundestagseinzug der AfD eine historische Zäsur. Die Partei sei offen antisemitisch und antiziganistisch, sagte der Zentralratsvorsitzende Romani Rose am Montag in Heidelberg. "Sie betreibt eine Renaissance des völkischen Denkens und stellt damit grundlegende Verfassungsprinzipien wie den Schutz der Menschenwürde in Frage", so Rose. Er warnte die anderen Parteien vor einem "Konkurrenzkampf" um die nationalistischen Ziele der Rechtspopulisten. Es gelte, jeder Form von rassistischer Hetze entgegenzutreten.
Blick nach vorne
Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) fordert geeignete Strategien der neuen Abgeordneten im Umgang mit der AfD im Parlament. Parlamentarier und Vertreter der Zivilgesellschaft "müssen zusammenstehen und mit Argumenten gegen die politischen Positionen und den Hass der Rechten angehen", erklärte der Verband am Montag in Düsseldorf. "Wir fordern eine Politik, die nicht nach scheinbar schnellen Lösungen sucht, sondern sich nachhaltig am Wohl von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen orientiert."
Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) findet es bedauerlich, dass nun Abgeordnete in den Bundestag einziehen, "die sich offen gegen eine Gleichstellung von Frauen und Männern aussprechen und den Klimawandel leugnen". Das Wahlergebnis erschwere zudem die Integration von Menschen, "die nach Deutschland zuwandern und hier eine neue Heimat suchen", erklärte der Verband.
"Protestwählern die Augen öffnen"
Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, erklärte: "Wir brauchen jenseits von Klientelinteressen eine Koalition für ein offenes, soziales und gerechtes Deutschland, in dem Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit mehr zählen als Ausgrenzung und Angstmache."
Der Leiter des Katholischen Büros Erfurt, Winfried Weinrich, forderte "eine sachliche Auseinandersetzung, um den Protestwählern die Augen zu öffnen". Teile des AfD-Programms seien "mit Positionen der christlichen Soziallehre unvereinbar", so der landespolitische Vertreter der Bistümer Erfurt, Dresden-Meißen und Fulda. Zugleich sagte Weinrich, das Gespräch mit Spitzenvertretern der AfD sei schwierig.