domradio.de: Vor dem Referendum veröffentlichte die spanische Bischofskonferenz eine Erklärung, in der sie zu "Dialog und gegenseitigem Verständnis" aufrief und sich gegen einen Konfrontationskurs aussprach. Nach dem 1. Oktober gab es jedoch keine Stellungnahme, keine Verurteilung der Gewalt, keinerlei Aufruf für oder wider die Unabhängigkeitsbestrebungen. Warum ist die katholische Kirche so schweigsam angesichts der politischen Verwerfungen in ihrem Land?
Jesús Bastante (Chefredakteur des katholischen online-Magazins "religión digital"): Sie schweigt nicht, es gibt nur kein gemeinsames Positionspapier, wie vor dem Referendum. Die 22 Mitglieder der spanischen Bischofskonferenz hatten im Vorfeld dazu aufgerufen, die spanische Verfassung zu respektieren und vor "unumkehrbaren und folgenschweren" Handlungen gewarnt. Diese gemeinsame Erklärung zu formulieren, war schon schwierig genug gewesen.
Nach dem Referendum hat es jedoch zahlreiche Äußerungen einzelner Bischöfe gegeben, die sich klar positionieren. Und es sind derzeit die Kardinäle von Madrid und Barcelona, die versuchen, einen Dialog aufrechtzuerhalten und Brücken zu bauen in dieser verfahrenen Situation.
domradio.de: Das heißt aber, es existiert keine gemeinsame Position aller spanischen Bischöfe?
Bastante: Die Bischöfe sind sich einig in dem, was das Papier vor dem Referendum formuliert hat: Dass die Kirche sich für Eintracht und die Einhaltung der konstitutionelle Ordnung ausspricht, ohne die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens direkt zu verurteilen.
Nach dem Referendum haben sich tatsächlich fast alle Bischöfe individuell zu den politischen Entwicklungen geäußert und unterschiedliche Positionen bezogen. Angefangen beim Bischof von Solsona [Anm.: nördlich von Barcelona], Xavier Novell, der angekündigt hatte, wählen zu gehen und sich offen für eine Unabhängigkeit Kataloniens ausspricht. Der Erzbischof von Barcelona, Juan José Kardinal Omella, und der Erzbischof von Tarragona, Jaume Pujol Balcells haben ein Schreiben veröffentlicht, in dem sie die Gewalt nach dem Referendum verurteilen und zum Dialog aufrufen.
Und es gab natürlich auch einige, die eine harte Hand der Zentralregierung befürworten. Beispielsweise der Erzbischof von Valencia, Antonio Kardinal Cañizares Llovera, oder der Erzbischof von Oviedo, Jesús Sanz Montes. Sanz hat in dieser Woche einen Brief veröffentlicht, in dem er der katalanischen Regionalregierung vorwarf, die Einheit Spaniens zu zerstören. Die Befürworter der Unabhängigkeit nannte er "Verbrecher" und "korrupt".
Tatsächlich hat die Kirche als Einheit keine neue, einheitliche Position veröffentlicht. Im Hintergrund jedoch finden Gespräche statt. Die Kardinäle von Barcelona und Madrid treffen sich sehr diskret mit unterschiedlichen politischen Vertretern, Gewerkschaftern, gesellschaftlichen Gruppen und Unternehmern und versuchen, Brücken zu bauen. Als offizieller Vermittler kann die Kirche allerdings nicht auftreten, denn das würde bedeuten, dass sie beide Konfliktparteien als gleichwertige Akteure anerkennt.
Und der Papst hat an diesem Montag in einem Treffen mit dem neuen spanischen Botschafter beim Heiligen Stuhl, Gerardo Angel Bugallo Ottone, keinen Zweifel daran gelassen, dass die Kirche für die Einheit Spaniens ist.
domradio.de: Worum geht es bei diesen Treffen der Kardinäle mit politischen und gesellschaftlichen Vertretern?
Bastante: Sie werden angeführt vom Erzbischof von Madrid, Carlos Osoro Kardinal Sierra, und vom Erzbischof von Barcelona, Juan José Kardinal Omella. Vergangenen Montag haben sie sich mit Ministerpräsident Mariano Rajoy getroffen und am Dienstag traf Omella mit Oriol Junqueras zusammen, dem Vizepräsidenten der Regionalregierung in Katalonien und eine der treibenden Kräfte der Unabhängigkeitsbewegung. Dabei ging es nicht nur um politische Fragen, sondern auch um gesellschaftliche Aspekte.
Ich glaube, die Kirche versucht, den Dialog zu erleichtern, aber wie gesagt, als direkte Vermittlerin kann sie nicht auftreten. Es wird keinen Bischof geben, der offiziell mit am Verhandlungstisch sitzt und hoffentlich auch keinen anderen Priester oder Diakon, denn das ist nicht die Funktion der Kirche. Aber es ist ihre Aufgabe, aufmerksam zu sein, ihre Dienste anzubieten und die Hand zu reichen, damit der Gesprächsfaden nicht abreißt.
domradio.de: Welchen Einfluss hat denn die Kirche noch auf die aktuellen gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen in Spanien? Wird ihre Stimme gehört?
Bastante: Der Einfluss der Kirche in Spanien ist immer noch groß, auch in Katalonien, das sehr säkular geworden ist, ist das Religiöse noch sehr präsent. Es gibt viele religiöse Feste wie Sant Jordi und La Mercè, die zeigen, wie stark das Christlich-kulturelle in Spanien noch immer verwurzelt ist. Und letzten Endes konnte die katalanische Sprache vor allem deswegen überleben, weil sie während der Franco-Diktatur in den Klöstern, beispielsweise im Kloster Montserrat, weitergesprochen wurde.
Und auch im Rest Spaniens, wo der Einfluss der katholischen Kirche zwar abnimmt, ist sie immer noch präsent. Sie ist eine Stimme, die gehört wird. Der Bischof einer Diözese ist immer noch eine Autorität und einer, der zwischen Konfliktparteien vermitteln kann. Aber natürlich sind die Bischöfe und die spanische Bischofskonferenz keine politischen Akteure. Das ist auch nicht ihre Aufgabe.
Angesichts der aktuellen Umstände, bei denen es um nichts weniger als die Zukunft des Landes und das Wohl der Menschen geht, spielt die Kirche aber eine wichtige Rolle: Ihre Aufgabe ist es jetzt, an der Seite des Volkes zu stehen.
domradio.de: Wie wird es weitergehen mit den Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens?
Bastante: Das katalanische Parlament will am Montag zusammentreten, um die Unabhängigkeit der Region von Spanien auszurufen. Das kann man machen, aber es ist wenig sinnvoll, wenn niemand das anerkennt. Und ich glaube, auf internationaler Ebene dürfte es kaum jemanden geben, der Katalonien als unabhängigen Staat anerkennt. Darüber hinaus sind die internationalen Verflechtungen so groß, dass eine Abtrennung tatsächlich gravierende wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen haben könnte.
Was wir nun verstehen müssen, ist, dass Spanien eine multikulturelle Nation mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Meinungen ist. Dass wir nicht versuchen dürfen, den Menschen in den Regionen eine künstliche Einheitlichkeit aufzuerlegen. Die Einheit Spaniens basiert nicht auf einem starren Konzept, sondern sie besteht aus unterschiedlichen Einheiten, die zusammen ein Ganzes formen. Und das zu verstehen, ist wichtig.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.