Trotz des im Weihnachtsliedklassiker besungenen "süßen Klangs" schaffen es Kirchenglocken heute immer häufiger als Schlaf raubende Lärmbelästigung ins öffentliche Bewusstsein. Und werden Gegenstand von Prozessen vor den Verwaltungsgerichten. Eine Kampagne der Kirchen will im "Europäischen Jahr des Kulturerbes" das Image der bundesweit mehr als 100.000 Glocken in Kirchen und Kapellen, aber auch in Rathäusern, Stadttoren und Friedhöfen aufpolieren. Dazu gibt Kulturstaatsministerin Monika Grütters 160.000 Euro.
"Sehr viele Menschen haben den Sinn dafür verloren, wie viel Kultur und Tradition im Läuten der Glocken steckt. Das wollen wir ändern", so Johannes Wittekind. Als "Glockeninspekteur" des Erzbistums Freiburg ist er von Berufs wegen um den Erhalt Tausender Glocken zwischen Odenwald und Bodensee besorgt. Nun ist er treibende Kraft für den Aufbau einer "nationalen klingenden Glockendatenbank".
Digitale Landkarte geplant
In nächsten Jahr wollen die Macher der Aktion www.gebetsläuten.de junge Menschen dazu bringen, die Glocken ihrer Nachbarschaft zu erforschen und in Fotos und Tonaufnahmen zu dokumentieren. Aus den Daten soll eine digitale Landkarte entstehen, mit der Informationen, Bilder und Klänge online abrufbar sind. Denkbar sei auch eine App, die Kirchenglocken beispielsweise als Klingelton aufs Handy bringt, so Wittekind. Vorreiter des Projekts ist das Erzbistum Freiburg, wo es eine solche entsprechende Datenbank gibt. Nun gilt es, alle Bistümer und Landeskirchen zu gewinnen.
Zum Start der Kampagne kommen Ende November Glockenexperten aus ganz Deutschland zu einer Fachtagung in die evangelische Akademie Baden. Am 1. Dezember wird dann vor dem Karlsruher Schloss in spektakulärer Handwerkskunst eine Bronzeglocke gegossen.
Wenige Gießereien mit Expertise
Dabei gibt es bundesweit nur noch eine Handvoll Gießereien, die die Expertise haben, um aus Kupfer und Zinn wohltönende und langlebige Bronzeglocken zu formen. "Bei schonender Behandlung, das heißt vor allem unter Einsatz eines genau auf die jeweilige Glocke abgestimmten Klöppels halten Glocken viele Generationen", so Wittekind.
Er weiß zugleich, dass aktuell viele Läuteanlagen in schlechtem Zustand sind. Experten sehen einen Investitionsstau in den Glockentürmen. Weil Kupfer und Zinn während der beiden Weltkriege begehrte Rohstoffe - nicht zuletzt der Waffenindustrie - waren, wurden die meisten Glocken aus deutschen Kirchen und Rathäusern eingeschmolzen.
In die Jahre gekommen
Die heutigen Glockenanlagen stammen bis auf wenige historische Glocken wie die "Pretiosa" von 1448 im Kölner Dom oder die "Hosanna" von 1258 im Freiburger Münster fast alle aus den Nachkriegsjahren. Und sind nun in die Jahre gekommen. "Wenn wir den seit fast 5.000 Jahren zur Kulturgeschichte des Menschen zählenden Glockenklang erhalten wollen, muss uns das auch etwas wert sein", so Wittekind. Auch dazu soll die Aktion Anstöße geben.