Langsam schiebt Brigitte ihren Rollator die Schmidt-Blegge-Straße in Bergisch Gladbach entlang. Die 78-Jährige hat Schmerzen im Rücken. "Wenn ich überlege, wie ich vor wenigen Jahren noch hier rumgehüpft bin und jetzt hänge ich wie ein nasser Sack in der Kurve." Sie lacht über ihren Witz, doch eigentlich ist ihr gar nicht zum Lachen zu Mute. Denn ihr liegt eine schwere Last auf dem Rücken. Sie hat Herzprobleme und einen kaputten Rücken - und kaum Geld in der Tasche, um sich die notwendigen Spezial-Medikamente leisten zu können. Die Rentnerin fühlt sich finanziell arm. Doch das soll nicht jeder wissen, ihren Nachnamen behält sie deshalb lieber für sich.
Brigitte ist nicht alleine. Offizielle Zahlen belegen, dass im Alter einige mit ihrem Geld nicht auskommen. Mehr als eine Million Senioren in Deutschland üben nach Angaben der Bundesregierung einen sogenannten Minijob aus, um ihre Rente aufzubessern. Fast 540.000 bekommen sogar staatliche Hilfe. Sie beziehen die sogenannte Grundsicherung, weil sie weniger als monatlich 750 Euro Rente haben. Insgesamt sind es sogar rund 1,4 Millionen Menschen, die Anspruch auf Grundsicherung hätten. Denn viele von ihnen trauen sich nicht, sich als arm zu outen und Sozialhilfe zu beantragen.
Unter dem Strich bleibt nicht viel
Mit 900 Euro Rente bekommt Brigitte etwas zu viel, um Grundsicherung beantragen zu können. Sie gehört zu denjenigen, die der Staat als noch nicht unterstützungswürdig betrachtet. "Doch es geht doch um das, was unter dem Strich rauskommt", sagt die Bergisch-Gladbacherin. Und das ist bei ihr nicht viel. Nach Abzug von Miete, Nebenkosten und den 150 Euro teuren Medikamenten bleiben ihr circa 300 Euro zum Leben übrig. Dabei hat Brigitte vier Jahrzehnte gearbeitet. "Da denkst Du, Du hast gut gearbeitet und immer in die Rente eingezahlt. Da frage ich mich, warum", sagt sie.
Als sie 1945 aus Schlesien nach Deutschland vertrieben wurde, arbeitete sie als Verkäuferin und bei ortsansässigen Firmen. Durch den Krieg sei ihre Ausbildung nicht besonders gut gewesen und der Verdienst niedrig. Sie lernt in Deutschland ihren Mann kennen, heiratet und bekommt zwei Kinder. Doch dann passiert das Unglück: Mit gerade mal 34 Jahren nimmt sich ihr Mann das Leben. Plötzlich ist sie verwitwet, muss ganz alleine das Geld für die Familie aufbringen. Doch alleine schafft sie es nicht, ausreichend zu verdienen. Dass sie damals Anspruch auf Geld gehabt hat, das erfährt sie erst später per Zufall. "Das sagt einem das Amt ja nicht", sagt sie erbost.
Pflege der eigenen Mutter
Sie denkt an die Zeiten, wo sie ihren Kindern den Klassenausflug nicht finanzieren konnte. "Da habe ich manche Träne im Bett geheult." Mit Ende 50 wurde dann auch noch ihre Mutter krank. Brigitte pflegte sie dreieinhalb Jahre und konnte nur noch einige Stunden am Tag arbeiten. Ende der 1990er Jahre geht Brigitte mit 60 Jahren offiziell in Rente. Das Geld reicht kaum zum Leben, Brigitte geht deshalb auch als Rentnerin weiter arbeiten. Doch als die Gebrechen kommen, ist damit Schluss. Der endgültige Rentenbescheid erschüttert sie: 54 Jahre hat sie gearbeitet, um dann auf der Zielgeraden zu merken, dass das Versprechen eines würdigen Lebensabends ein Missverständnis gewesen ist. Das Geld reicht kaum zum Leben.
Auch wenn ihre Kinder ihr oftmals unter die Arme greifen, für sie ist es kein schönes Gefühl auf andere angewiesen zu sein. Die 78-Jährige hat sich deshalb mit einem Leben, das keinen Platz mehr hat für Bedürfnisse, die über das Nötigste hinausgehen, arrangiert. Urlaub? Ein Stück Kuchen und Kaffee im Café? "Ich muss es nicht haben, aber es wäre schön, wenn das hin und wieder mal möglich wäre", sagt sie.
Alleinstehende Frauen häufig betroffen
Solch ein Lebenslauf ist kein Einzelfall. Die im Juni veröffentlichten Ergebnisse der Studie der Wirtschaftsforschungsinstitute DIW und ZEW im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigten, dass alleinstehende Frauen, Menschen ohne Berufsausbildung und Langzeitarbeitslose mit am stärksten von Altersarmut betroffen sind.
In Zukunft soll sich die Lage sogar noch verschärfen. Wie drastisch Altersarmut sich künftig entwickelt, zeigt die Studie von DIW und ZEW. Jeder fünfte 67-Jährige soll demnach 2036 von Altersarmut bedroht sein. Das Armutsrisiko der Neurentner steigt laut den Autoren von derzeit bundesweit 16,2 Prozent auf 20,2 Prozent.
Brigitte hofft, dass es ihren Kindern einmal anders ergehen wird als ihr. Doch so richtig glaubt sie nicht daran: "Euch jungen Leuten wirds mal allen noch schlechter gehen als uns."