Sie ist mit ihrem Hund und Begleiter Clayd in Köln unterwegs. Immer wieder wird die "kölsche Linda" von Obdachlosen gegrüßt. Sie bleibt vor dem Portal des Hauptbahnhofs stehen, entdeckt die 34-jährige Nora. Die junge Frau sitzt auf dem Boden im Schneidersitz und hat eine Büchse vor sich stehen. Linda kniet sich neben sie. Beide sprechen über Obdachlosigkeit – gerade wie es sich als Frau anfühlt. "Die meisten denken, dass man verkäuflich ist. Sie sind abfällig. Wenn ich 'Nein' sage, dann sind sie noch beleidigt", sagt Nora.
Linda Rennings kennt das Problem. Frauen, sagt sie, haben es einfach sehr schwer auf der Straße. Sie werden als "Freiwild" gehandelt. Sie müssten ständig Angst haben, überfallen und vergewaltigt zu werden.
Eine Psychose reißt sie aus dem Arbeitsleben
Die 53-Jährige will denen helfen, die das Leben aus der Bahn gerissen und auf die Straße katapultiert hat. Auch Linda ist es vor einigen Jahren so ergangen. Fünf Jahre lang war sie obdachlos. Sie weiß aus eigener Erfahrung, wie schnell das gehen kann und wie schwer das Leben sein kann.
Schon ihre Mutter hat Linda die Jugend schwer gemacht. Diese war Alkoholikerin. Immer wieder flüchtete die junge Linda Rennings zur Großmutter. Die Oma nimmt sie auf. Linda lernt, macht den Hauptschulabschluss und wird Fleischereifachverkäuferin. Sie heiratet zwei Mal, bekommt eine Tochter. Doch die Männer entpuppen sich als Schläger. "Schon im Brautkleid wurde ich das erste Mal verprügelt", erinnert sie sich. Sie trennt sich und bekommt kein Geld. Sie muss alleine für ihre Tochter sorgen. Teils arbeitet sie in zwei Jobs. Linda geht auf Zahnfleisch. Als dann mit 14 die eigene Tochter das Haus verlässt, kam der Zusammenbruch mit einer schweren Lungenentzündung, aber auch psychisch. "Ich konnte meinen Namen nicht mehr aussprechen. Mein Gehirn hat sich einfach wie ein PC aufgehängt." Sie kann den Job nicht halten und in der Folge auch nicht die Wohnung.
Obdachlosigkeit auf dem Friedhof der Oma
Von der Psychose geleitet sucht Linda Rennings ihre bereits verstorbene Oma. Ein Jahr lang lebt Linda auf dem Friedhof in Köln-Dünnwald. Dort fühlt sie sich sicher vor Übergriffen. Sie lebt von Essen aus dem Müll, wiegt am Ende nur noch 40 Kilo. Betteln und Alkohol sind Tabu. Menschen aus der Nachbarschaft haben das mitbekommen. Sie sprechen sie an und nehmen sie mit in die Beratungsstelle des Sozialdienstes katholischer Frauen. Ein Amtsarzt weißt sie sofort in die geschlossene Psychiatrie ein.
Mit Medikamenten wird ihre Psychose geheilt. Die Rettung, wenn auch ein schlimme Zeit für Linda. Seit 2011 wohnt sie in ihrer eigenen Wohnung in Köln, von einer Minirente plus Grundsicherung. Mit halbwegs festem Boden unter den Füßen entwickelt sich der Wunsch, anderen Frauen in ähnlichen Lebenslagen zu helfen. "Weil ich immer wieder erlebt habe, wie mit obdachlosen Frauen umgegangen wird", erklärt sie. Sie gründete den Verein "Heimatlos in Köln".
Frauen scheuen sich vor Hilfsangeboten
Denn Heimatlosigkeit betrifft in Nordrhein-Westfalen viele und es werden immer mehr Menschen. Seit 2011 hat sich die Zahl der gemeldeten Wohnungslosen in NRW um fast 60 Prozent auf über 25.000 erhöht. Das geht aus einem jüngst erschienen Bericht von NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) an den Düsseldorfer Landtag hervor. Gerade für Frauen ist die Lage schwierig. Die Hilfsangebote für Wohnungslose erreichen sie kaum, weil Frauen die männlich dominierten Notunterkünfte scheuen.
Daher begleitet die kölsche Linda die Frauen zu Notschlafstellen. Aber auch zu Ämtern geht sie mit. Regelmäßig sucht sie den Kontakt. Sie weiß, wo sich die Heimatlosen in Köln aufhalten und spricht sie an. Hört zu. Für Nora ist Linda eine Stütze. Sie sei wichtig für die Frauen. "Wenn ich halbwegs wieder auf eigenen Beinen stehe, dann will ich auch so etwas machen", sagt sie.