Zahlen und Statistiken können individuelles Leid nicht erfassen, ja nicht selten verstellen sie den Weg zu wirklicher Solidarität. Diese Gefahr besteht auch bei der Aufrechnung religiöser Verfolgung, zumal Konflikte dadurch noch verschärft werden können.
Darauf weisen auch die am Mittwoch in Berlin vorgestellten Jahrbücher "Religionsfreiheit 2017" und "Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2017" hin. Zugleich bemühen sie sich um eine differenzierte Bestandsaufnahme der Verfolgung aus religiösen Gründen in aller Welt.
Einseitige Sichtweise soll vermieden werden
Herausgeber sind die Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, das Internationale Institut für Religionsfreiheit und die Arbeitskreise zur Religionsfreiheit der Evangelischen Allianzen von Deutschland, Österreich und der Schweiz. Mit der gleichzeitigen Veröffentlichung vermeiden sie eine einseitige Sichtweise, ohne die besondere Nähe der Christen zu ihren verfolgten Glaubensgeschwistern zu relativieren.
Max Klingberg von der IGFM, der auch Mitglied im Arbeitskreis Religionsfreiheit der Evangelischen Allianz ist, ordnet die Staaten, in denen Christen besonders verfolgt werden, zwei Gruppen zu. In der größeren stehen menschenrechtsfeindliche religiöse Überzeugungen im Vordergrund: "Vor allem konservative Auslegungen des islamischen Rechts, islamistisch geprägte Regierungen, gesellschaftliche Gruppen - aber auch extremistische Hindus und Buddhisten". Auf der anderen Seite stehen demnach Einparteien-Diktaturen wie China, Kuba, Laos, Nordkorea oder Vietnam.
Eine Rangliste nach Verfolgung oder Religionszugehörigkeit, wie sie der Weltverfolgungsindex des internationalen christlichen Hilfswerks Open Doors oder das amerikanische PEW Research Center vorlegen, hält Klingberg allerdings schon aus systematischen Gründen für problematisch. So gibt es keine objektiven Kriterien, um verschiedenen Formen von Diskriminierung und Verfolgung zu gewichten.
Bei Open Doors fließt demnach Gewalt "in nur geringem Maße in die Rangliste ein". Der Bericht gebe zwar einen raschen Überblick über Brennpunkte der Christenverfolgung. Allerdings kämen andere Beobachter zu anderen Einschätzungen.
Der Menschenrechtler Theodor Rathgeber spricht von "methodischen Untiefen" und weist etwa darauf hin, dass sich bei vielen Konflikten "Fragen zur ethnischen oder religiösen Identität vermischen". Dem PEW-Bericht hält Klingberg eine zu geringe Datenlage vor, zudem seien die Länderberichte "zum Teil politisch gefärbt". Für ihn gilt grundsätzlich: "Die Situation für Christen lässt sich dauerhaft nur verbessern, wenn sie für alle besser wird."
Schwerpunkt Naher Osten
Auf 628 Seiten dokumentieren die Berichte auch wesentliche Beiträge zur Religionsfreiheit. Dazu gehört etwa der Vortrag von Kurienkardinal Kurt Koch zum Thema: "Christenverfolgung und Ökumene der Märtyrer" sowie eine Studie zum osmanischen Genozid an Christen in der deutschen Geschichts- und Erinnerungskultur. Ein Schwerpunkt unter den Länderberichten nimmt verständlicherweise der Nahe Osten ein: Die Lage der Christen in Syrien, die blutige Verfolgung durch den "Islamischen Staat" oder die Sorge um eine Ende der Assyrer im Osten des Landes.
Die Studien enthalten auch Handlungsempfehlungen für Kirchen und christliche Gemeinschaften außerhalb des Verfolgungskontexts, die unter anderem an der University of Notre Dame und dem Berkley Center for Religion der Georgetown University erarbeitet wurden. Dazu gehören etwa eine konfessionsübergreifende Unterstützung verfolgter Christen und eine Sensibilisierung für ihr Leid. Zugleich plädieren die Experten für einen stärkeren Interreligiösen Dialog. Kirchen sollten aktiv Allianzen schmieden und die Religionsfreiheit zum Wohle aller betonen.
Mit Blick auf den Umgang mit der weltweit zunehmenden Zahl an Konvertiten beklagt der evangelische Theologe Christof Sauer aus Leuven einen oft "unangemessenen" Umgang der Kirchen. Mal sei er von "Unwissenheit, Scham, Gleichgültigkeit oder Vernachlässigung" geprägt; andere Male von "übertriebener Begeisterung, Vergötterung, übermäßigem Zerren in das Licht der Öffentlichkeit". Nötig sei hingegen: Konvertiten willkommen zu heißen und gleichzeitig für ihre besondere Verwundbarkeit sensibel zu sein.