KNA: Herr Bischof, was sind die größten Probleme, mit denen die indigenen Völker Boliviens zu kämpfen haben?
Eugenio Coter (Bischof, Präsident von Caritas Bolivien undund Vertreter des panamazonischen Kirchennetzwerks REPAM): Die wirtschaftliche Lage der meisten indigenen Familien ist sehr schwierig. Im Krankheitsfall haben sie große Mühe, eine adäquate Gesundheitsversorgung zu bekommen. Vor allem für die Ureinwohner in den abgelegenen Siedlungen gibt es kein funktionierendes Sozialversicherungssystem. Wie soll jemand eine medizinische Behandlung finanzieren, wenn sein Auskommen als Früchtesammler gerade mal für die alltäglichen Ausgaben reicht?
KNA: Gibt es für die Betroffenen überhaupt einen brauchbaren Zugang zur modernen Zivilisation?
Coter: Die indigenen Territorien mit ihrer weit verteilten Bevölkerung sind oft von den wichtigen Verkehrs- und Kommunikationswegen abgeschnitten. Fortschritte in Sachen Infrastruktur gibt es kaum, weil sich der Staat beim Ausbau zu sehr auf die städtischen Ballungsgebiete konzentriert.
KNA: Wie viele Bolivianer gehören indigenen Gruppen an?
Coter: Man geht anhand der Zensusdaten von 2012 davon aus, dass sich rund 40 Prozent der etwa elf Millionen Einwohner als Angehörige der indigenen Völker betrachten. Bedeutend sind die 34 verschiedenen Ethnien des Tieflandes sowie die Aymara und Quechua im Hochland.
KNA: In Lateinamerika ist der sogenannte Extraktivismus weit verbreitet: ein Wirtschaftsmodell, das vor allem auf die Ausbeutung von Rohstoffen abzielt. Welche Bedeutung hat dieses Modell für Bolivien?
Coter: Alle Regierungen haben diese Politik betrieben. Der Sozialist Evo Morales macht da keinen Unterschied. Früher stand der traditionelle Bergbau im Vordergrund; heute geht es besonders um Gas und Öl. Die gesamte Wirtschaft hängt davon ab. Dabei gehen die Rohstoffe allmählich zur Neige, die Natur wird zerstört.
KNA: Wie wirkt sich der Extraktivismus auf die Ureinwohner aus?
Coter: Es sind in erster Linie große Konzerne, die den Profit einstreichen. Die Indigenen sind normalerweise nicht beteiligt, wenn große Mengen Holz verkauft oder staatliche Konzessionen für die Ausbeutung von Bodenschätzen vergeben werden. Die Ureinwohner werden auf lokaler Ebene mit Kleinstbeträgen abgespeist, die ihnen nicht wirklich weiterhelfen.
KNA: Derzeit sorgt ein umstrittenes Straßenbauprojekt im Nationalpark und Indigenenschutzgebiet TIPNIS international für Schlagzeilen. Wie ist der aktuelle Stand?
Coter: Nachdem die Regierung im August die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen hat, haben die ersten Bauarbeiten am Rio Isiboro bereits begonnen. Von dort aus soll eine Asphaltpiste quer durch das gesamte Gebiet errichtet werden. Die Bewohner sind wegen des Projekts gespalten; sie wurden gegeneinander ausgespielt. Anders als von der Regierung behauptet, geht es freilich nicht darum, eine bessere Infrastruktur für die im Park gelegenen indigenen Gemeinden zu schaffen. Die Straße soll in erster Linie dort verlaufen, wo sich Gasvorkommen und andere Bodenschätze befinden.
KNA: Was kann die Kirche für die Indigenen tun?
Coter: Sie kann ihnen zeigen, dass sie nicht allein um die Bewahrung der Schöpfung kämpfen. Speziell das Amazonasgebiet ist als globaler Wasserspeicher und Sauerstoffproduzent von entscheidender Bedeutung für das Weltklima. Die Kirche kann helfen, auf nationaler wie internationaler Ebene ein Bewusstsein dafür zu schaffen.
KNA: Papst Franziskus hat für Oktober 2019 eine Bischofssynode für das Amazonasgebiet angekündigt. Dabei soll es besonders um die indigenen Völker gehen. Was halten Sie von diesem Vorstoß?
Coter: Das ist eine großartige Sache! Die Synode wird die am Rande der Gesellschaft stehenden Urwaldbewohner ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Für uns alle ist das eine Chance, den Erfahrungsschatz dieser Menschen zu retten. Sie haben im Laufe vieler Generationen gelernt, in Einklang mit der Natur zu leben. Der Klimawandel zeigt, wie wichtig das ist.
Das Interview führte Alexander Pitz.