Studie zu Flüchtlinghilfe vor Ort vorgestellt

"Familiennachzug erleichtert Integration"

Über Flüchtlinge wird ständig gesprochen - über die Engagierten in der Flüchtlingshilfe weniger. Der Jesuitenflüchtlingsdienst möchte das ändern und hat eine Studie vorgestellt, für die europaweit lokale Willkommensinitiativen befragt wurden.

Hand eines Asylbewerbers hinter Maschendrahtzaun / © Jens Büttner (dpa)
Hand eines Asylbewerbers hinter Maschendrahtzaun / © Jens Büttner ( dpa )

domradio.de: In Deutschland haben rund 50 Willkommensinitiativen bei der Umfrage mitgemacht. Funktioniert die Flüchtlingsarbeit vor Ort unterm Strich?

Pater Frido Pflüger (Jesuitenflüchtlingsdienst): Ja, es funktioniert häufig sogar sehr gut. Natürlich gibt es Probleme und es lässt so langsam nach. Und - wie wir heute Morgen auch von aktiven Teilnehmern gehört haben - es wird manchmal auch schwieriger. Aber es sind nach wie vor unheimlich viele Menschen unterwegs. Nach Aussagen der Bundesregierung sind es ungefähr sechs Millionen, die sich freiwillig in der Flüchtlingshilfe engagieren.

domradio.de: Die ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer vor Ort haben sicher auch Empfehlungen an die Politiker in Berlin. Was für welche?

Pflüger: Die wichtigste Frage für mich selber - und was wir auch von den Leuten hören - ist die der Familienzusammenführung. Das ist ja auch persönlich die belastendste Frage. Man kann sich nicht in Deutschland integrieren und richtig einbringen, wenn man gleichzeitig um Familienangehörige Sorge haben muss, die noch im Heimatland zurückgeblieben sind oder in Lagern in der Nähe des Ursprungslandes, wo der Konflikt, Krieg oder Bürgerkrieg herrscht, Unterschlupf suchen. Da kann man hier nicht in Ruhe Deutsch lernen und Vokabeln pauken. Das ist eigentlich unmöglich. Und man kann sich auch nicht ordentlich integrieren, weil man den Kopf nicht frei hat. Wenn die Leute ihre Familien bei sich haben, dann ist die Integration am einfachsten, und das ist eigentlich allen klar.

Das Zweite ist, dass ich natürlich auch mit unserem christlichen Hintergrund sagen muss, dass die Familie einer unserer Grundwerte ist und ich das nicht bei der Arbeit mit Flüchtlingen so verleugnen kann, wie wir das tun und Menschen davon ausschließen. Wir reden am Sonntag über Familie und sagen Familie ist absolut wichtig, und am Montag und Dienstag lassen wir die Leute nicht nachreisen.

domradio.de: Ganz klar positioniert sich auch Innenminister Thomas de Maizière – und zwar gegen den Familiennachzug. Auch die weitere Aufnahme von Flüchtlingen will er stark einschränken. De Maizière bezeichnet sich als gläubigen Katholiken. Mit einem christlichen Gewissen ist seine Politik aber kaum vereinbar, oder?

Pflüger: Ich bin vollkommen überzeugt, dass das nicht vereinbar ist. Ich kann nicht zweierlei Maßstäbe ansetzen für mich privat und für die Leute, die zu uns kommen. Das müssen dieselben Maßstäbe sein. Wenn ich für mich sage, Familie ist wichtig, dann ist es auch für die anderen wichtig.

domradio.de: Von rund 300.000 Menschen ist die Rede, die durch den Familiennachzug zu uns kommen könnten. Können sie verstehen, dass da andere Bürger Angst bekommen und denken, dass es wirklich nicht geht?

Pflüger: Ja, aber diese Zahlen wurden künstlich in der Presse und durch Veröffentlichungen der Bundesregierung hochgehalten. Und zwar wirklich überdurchschnittlich hochgehalten, damit man diese Angst erzeugt und inzwischen kommen ja auch Pressemitteilungen in denen Politiker sagen: Nein, die Zahlen sind eigentlich viel kleiner. Wir müssen gar nicht mit so vielen Leuten rechnen.

domradio.de: Manchmal scheint es so, als treibe die AfD die anderen Parteien in Flüchtlingsfragen vor sich her. Sehen Sie das auch so?

Pflüger: Den Eindruck habe ich schon sehr stark. Vor lauter Angst vor der AfD nimmt man ihre Positionen ein, anstatt klar dagegen zu halten und mit unseren christlichen Werten dagegen zu setzen. Und, dass ganz viele Menschen diese Werte vertreten, zeigen doch diese großen Zahlen von Helfern und Freiwilligen, die sich engagieren. Diese Helfer und Freiwilligen zeigen das freundliche Gesicht von Deutschland – und nicht das hässliche.

domradio.de: Stellen Sie sich vor, die Parteien, die momentan bei den Jamaika-Gesprächen am Verhandlungstisch sitzen, würden Sie persönlich dazu holen. Sie würden denen natürlich sagen: Wir brauchen Familiennachzug. Was würden Sie noch sagen?

Pflüger: Wir brauchen Familiennachzug und wir brauchen endlich einen Schlussstrich unter dem Begriff der Obergrenze. Wir verlieren nur Zeit durch diese blödsinnige Diskussion. Und wir brauchen einen Einsatz auf EU-Ebene, dass das Asylrecht in Europa insgesamt nicht eingeschränkt wird. Wir dürfen zum Beispiel EU-weit keine Absenkung von den Schutzstandards für Drittstaaten machen, sondern müssen sehen, dass das nach wie vor aufrecht gehalten wird. Und wir dürfen auch keine Erschwerung der Asylverfahren durch vorläufige Prüfungen und Zulässigkeitsprüfungen machen. Es wird immer versucht, den Menschen eine Hürde nach der anderen einzubauen und die schlimmsten sind die, die dann sagen, sie errichten irgendwelche Lager im nördlichen Afrika und halten die Leute da schon mal zurück.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Pater Frido Pflüger vom Jesuitenflüchtlingsdienst / © Jesuitenflüchtlingsdienst
Pater Frido Pflüger vom Jesuitenflüchtlingsdienst / © Jesuitenflüchtlingsdienst
Quelle:
DR
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