domradio.de: Frust und Eitelkeit spielen beim Abbruch der Jamaika-Verhandlungen sicher auch eine Rolle. Können Sie die Absage menschlich nachvollziehen?
Prof. Dr. Peter Schallenberg (Moraltheologe an der Theologischen Fakultät Paderborn): Das kann man sicher nachvollziehen, nach allem was wir gehört haben. Menschliche Eitelkeiten sind immer da. Auf der politischen Ebene geht es aber weniger um innerliche Befindlichkeiten, als um äußere Kriterien. Die große Frage ist: Haben kleine Parteien so viel Angst ums Überleben, dass es ihnen schwerer fällt große Kompromisse zu erreichen. Mit anderen Worten: CSU und FDP, sind diese Parteien so um die eigene Profilierung erpicht, dass sie lieber in der Opposition stark bleiben, als in der Regierungskoalition dem nächsten Debakel entgegentaumeln.
domradio.de: Die FDP nennt das "lieber nicht regieren, als schlecht regieren" und wird dafür als Schuldiger ausgemacht.
Schallenberg: Genau der Satz enttarnt in gewisser Weise. Die Frage ist nur: Ist das wirklich die Alternative? Gut regieren heißt in der Demokratie immer Kompromisse schließen. Die FDP meint damit eher: lieber gar nicht regieren, als Kompromisse eingehen, die unseren potentiellen Wählern suggerieren: Eigentlich braucht es uns gar nicht.
domradio.de: Aber stellt man damit nicht das Wohlbefinden der Partei über das Wohlbefinden des Landes?
Schallenberg: Die Parteien sollen natürlich auch ihren eigenen Interessen folgen. In gewissem Sinne ist das die Grundregel der Demokratie. Unterschiedliche Parteien folgen unterschiedlichen Interessen. Das führt dazu, dass sie kompromissbereit sind und Koalitionen eingehen. Das wird aber auch in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich praktiziert. Im Gegensatz zu Italien haben wir keine große Erfahrung mit solch zerbrechlichen Koalitionen.
domradio.de: Bundespräsident Steinmeier sagt, die Parteien sollen die Verantwortung nicht an die Wähler zurückgeben. Stichwort Neuwahlen.
Schallenberg: Das würde ich genauso sehen. Natürlich ist es auch seine Aufgabe als Bundespräsident, eine mögliche Regierungsbildung voranzubringen. Ich persönlich bin auch der Auffassung, dass Demokratie möglichst weite Kompromiss-Spielräume ausloten muss. Da müssen Schnittmengen entdeckt werden. Alles andere muss man hinten anstellen und möglicherweise auch eingestehen, dass es Punkte gibt, wo die Parteien nicht zu einer gemeinsamen Linie kommen. Die Parteien müssen eingestehen, dass sie um des Gemeinwohles Willen eine solche Koalition eingehen. Das ist der Preis, den wir für eine Koalitionsregierung zahlen.
domradio.de: Sie die Parteien mehr dem Wähler verpflichtet, oder der gesamten Gesellschaft?
Schallenberg: Objektiv gesehen geht das Gemeinwohl vor dem Parteieninteresse. Das Interesse des Wählers, hat dem Volk hinten an zu stehen. Aber: Das Volk an und für sich kennen wir ja gar nicht. Wir kennen nur konkrete Individuen. Der Wähler als Individuum hat also seine Meinung abgegeben, und das Votum des Wählers muss nun in eine Koalitionsregierung überführt werden. Es ist das Risiko der Parteien, dass der Wähler vielleicht im Endeffekt sagt: Das reicht uns nicht. Man kann also insofern das Verhalten der FDP verstehen, auch wenn man es aus einer höheren Warte heraus vielleicht kritisieren würde. Ich kritisiere und sage: Das entspricht nicht dem Gemeinwohl und nicht der Stellung Deutschlands. Insofern ist der Bundespräsident hier gefordert, möglichst stark darauf hinzuwirken, dass es eine Regierung gibt. Ich halte es für schädlich, fatal und katastrophal, wenn es Neuwahlen gäbe. Das hieße: Wir kommen zu keinem Ergebnis, und der Wähler muss jetzt so wählen, dass wir leichteres Spiel haben. Das ist nicht die Aufgabe des Wählers.
domradio.de: Die SPD hat dagegen direkt nach der Wahl gesagt "mit uns nicht".
Schallenberg: Auch das ist eine ähnliche Situation. Die SPD hat nach Jahren der großen Koalition gelernt, wie es ist, ohne Opposition zu leben und dadurch immer mehr in der Wählergunst zu schwinden. Ich glaube man kann der SPD nicht verdenken, dass sie von Anfang an und sehr klar gesagt hat: Bei diesem Wahlergebnis wollen wir uns in der Opposition betätigen und regenerieren. Das ist das gute Recht einer Partei, aber auch der Unterschied zwischen SPD und FDP. Die SPD war von Anfang an direkt. Die FDP ist mit fliegenden Fahnen in die Koalitionsverhandlungen gegangen um am Ende ohne große Begründung zu sagen: Das reicht uns nicht, was wir hier durchsetzen konnten. Das halte ich für etwas schäbig, um das auf den Punkt zu bringen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.