In Australien sind über einen Zeitraum von Jahrzehnten hinweg mehrere zehntausend Kinder in kirchlichen und staatlichen Einrichtungen sexuell missbraucht worden. Dies geht aus dem am Freitag vorgestellten Abschlussbericht einer offiziellen Ermittlungskommission hervor. Die genaue Zahl von Opfern ist nicht bekannt. Geschätzt wird, dass etwa 60.000 Menschen Anspruch auf Entschädigung geltend machen können.
Wörtlich heißt es in dem Bericht: "Zehntausende Kinder in vielen australischen Einrichtungen wurden sexuell missbraucht. Die genaue Zahl werden wir nie wissen." Die Kommission war 2012 von der damaligen Premierministerin Julia Gillard eingerichtet worden, nachdem eine Reihe von schweren Missbrauchsfällen bekannt geworden waren. Ihr Nachfolger Malcolm Turnbull sprach von einer "nationalen Tragödie".
Der Vorsitzende der Missbrauchskommission, Philip Reed, sagte, die australische Öffentlichkeit habe durch die geleistete Arbeit von einem "mannigfaltigen und andauernden Versagen" beim Schutz von Kindern, von einer Kultur des Geheimhaltens und Vertuschens und den "verheerenden Folgen" erfahren, die sexueller Missbrauch von Kindern auf das Leben der Betroffenen als Erwachsene haben könne.
"Nehmen Schlussfolgerungen sehr ernst"
Australiens katholische Kirche entschuldigte sich bei den Opfern. Der Erzbischof von Melbourne, Denis Hart, versprach am Freitag, dass die Schlussfolgerungen der Ermittlungskommission "sehr ernst" genommen würden. "Im Namen der katholischen Bischöfe und religiösen Führer erneuere ich unsere uneingeschränkte Entschuldigung an die Betroffenen für dieses Leid."
Zu Harts Kirchenprovinz Melbourne gehört das Bistum Ballarat, das einer der Brennpunkte des australischen Missbrauchsskandals war. An der Vertuschung von Missbrauchsfällen in Ballarat soll als junger Priester auch Kurienkardinal George Pell beteiligt gewesen sein. Der Kardinal steht derzeit in Melbourne wegen des Vorwurfs vor Gericht, als Priester in Ballarat im Schwimmbad zwei junge Männer sexuell belästigt zu haben.
Empfehlung der Kommission: Abschaffung des Zölibats
Hart wies Vorschläge der Kommission zurück, den Zölibat und auch das Beichtgeheimnis zu lockern. Er sagte: "Die Strafe für jeden Priester, der das Beichtgeheimnis bricht, ist die Exkommunikation."
Die Kommission hatte vorgeschlagen, das Schweigegebot zu lockern, damit Priester Fälle sexuellen Missbrauchs anzeigen können, von denen sie im Beichtstuhl erfahren. Insgesamt regt sie mehr als 400 Änderungen an, damit es künftig weniger Opfer von sexueller Gewalt an Kindern gibt. Unter anderem soll Australien einen eigenen "Kinder-Minister" und eine nationale Kinderschutzbehörde bekommen.
Missbrauchsfälle in 4000 Einrichtungen
Insgesamt berichtet die Kommission von Missbrauchsfällen in 4000 verschiedenen Einrichtungen, zum Beispiel in staatlichen und kirchlichen Schulen, bei Pfadfindern oder katholischen Jugendgruppen. Vielfach waren Geistliche und Lehrer die Täter. Kommissionschef Philip Reed sagte, es gebe "keine einfache Erklärung" dafür, wie es dazu kommen konnte.
Die Kosten der Untersuchung werden auf insgesamt etwa 500 Millionen australische Dollar (mehr als 320 Millionen Euro) geschätzt. Insgesamt wurden mehr als 1,2 Millionen Dokumente gesichtet.
Die 2013 von der australischen Regierung eingesetzte Missbrauchskommission hat in den fast fünf Jahren insgesamt 57 öffentliche Anhörungen abgehalten und hinter verschlossenen Türen die Aussagen von 8.013 Missbrauchsopfern gehört. Zudem erhielt sie 1.344 schriftliche Aussagen. Von diesen 9.357 Aussagen wurden 3.955 anonymisiert im Abschlussbericht veröffentlicht. Reed erklärte, die Kosten der Kommissionsarbeit hätten mit umgerechnet 223 Millionen Euro gut 20 Millionen unter dem von der australischen Regierung finanzierten Budget gelegen.
"Glaubwürdigkeit der Kirche zerstört"
Sydneys katholischer Erzbischof Anthony Fisher erklärte, er müsse akzeptieren, wie die Vorfälle "die Glaubwürdigkeit der Kirche in der Gesellschaft zerstört" hätten. Nun gelte es, sich ein neues Vertrauen der Menschen zu verdienen. Er werde den Abschlussbericht der Missbrauchskommission "sorgfältig studieren" und dann detailliert Stellung nehmen. Die Vorsitzende des Verbandes der katholischen Orden Australiens, Schwester Ruth Durick, versicherte, den Abschlussbericht «sehr ernst zu nehmen».
Bischof Vincent Long Van Nguyen von Parramatta, der als junger Mann in Australien selbst Opfer von Missbrauch in der Kirche geworden war, erklärte: "Unsere Verfehlungen der Vergangenheit können nicht ungeschehen gemacht werden. Aber wir stehen felsenfest zu unserer Pflicht, dass auch für die Zukunft unsere gegenwärtigen Verfahren zum Kinderschutz eine Sicherheit vor lüsternen Verhaltensweisen bieten", so der einstige Bootsflüchtling.
Die Erzbischöfe von Perth und von Canberra-Goulburn, Christopher Charles Prowse und Timothy Costelloe, versicherten, künftig so schnell wie möglich auf jede Anzeige von Missbrauch zu reagieren und die Polizei einzuschalten. «Nichts wird mehr unter den Teppich gekehrt, nichts wird vertuscht. Wir hören zu und handeln», betonte Costelloe.